Der Tod kommt wie gerufen
zehn.«
»Wo?«
»Irgend ’ne mexikanische Kaschemme an der North Davidson. Ich werd vorbeifahren, ihm selbst noch ein paar Verkaufsargumente liefern. Soll ich Sie zu Ihrem Auto zurückbringen?«
In diesem Augenblick knurrte mein Magen.
»Nein«, sagte ich. »Sie sollten mir eine Enchilada spendieren.«
An der Ecke 35th und North Davidson gelegen, ist Cabo Fish Taco ein bisschen zu luxuriös für den Begriff Kaschemme. Es ist eher ein Laden, wo sich Surfer aus Baja mit Künstlern aus Albuquerque treffen.
Slidell parkte vor dem alten Landmark Building, das jetzt die Center of the Earth Gallery beherbergt. Im Fenster hing ein Stillleben, das ein Wasserglas mit einen Eigelb auf dem Boden und den beiden Hälften eines Plastikostereis auf dem Rand zeigte.
Als Slidell das Gemälde beim Aussteigen sah, schnaubte er nur und schüttelte den Kopf. Er wollte eben etwas dazu bemerken, als er Rinaldi von der Stelle aus, wo die 35th an den Gleisen endet, auf uns zukommen sah.
Slidell pfiff laut.
Rinaldi hob den Kopf. Er lächelte. Glaube ich. Sicher bin ich mir nicht. In diesem Augenblick geriet die Wirklichkeit aus der Bahn.
Rinaldis Hand wanderte in die Höhe.
Ein Schuss knallte.
Rinaldis Arm erstarrte, halb abgewinkelt. Sein Körper richtete sich auf. Zu sehr.
Ein zweiter Schuss krachte.
Rinaldi wirbelte zur Seite, wie von einer Kette gerissen.
»Runter!« Slidell schubste mich grob auf den Bürgersteig.
Meine Knie krachten auf Beton. Mein Bauch. Meine Brust.
Ein dritter Schuss war zu hören.
Ein Fahrzeug raste auf der Davidson nach Süden.
Mit hämmerndem Herzen schaute ich hoch, ohne den Kopf zu heben.
Mit gezogener Waffe rannte Slidell den Block hinunter.
Rinaldi lag bewegungslos da, die langen, dürren Gliedmaßen unnatürlich verdreht.
22
Ich rappelte mich auf und rannte die 35th hoch.
In der Ferne heulten Sirenen. Die eben noch verlassenen Bürgersteige füllten sich mit Schaulustigen. Vor mir bildete sich um Rinaldi herum ein Kreis. Durch Beinpaare hindurch sah ich seine bewegungslose Gestalt und eine dunkle Tentakel, die von unterhalb seiner Brust zur Bordsteinkante quoll.
Gaffer beiseite schiebend, bahnte ich mir einen Weg. Slidell kniete vor ihm, das Gesicht fleckig, beide Hände auf die Brust seines Partners gepresst.
Mein Herz schlug bis zum Hals.
Rinaldis Lider waren blau, sein Gesicht leichenblass. Regendurchtränkte Haare und Hemd. Blut kroch über den Bürgersteig und tropfte von der Bordsteinkante. Viel zu viel Blut.
»Zurück!«, schrie Slidell, die Stimme zitternd vor Wut. »Gebt dem Mann doch ein bisschen Luft!«
Der Kreis weitete sich und zog sich sofort wieder zusammen. Handys klickten, es wurden Fotos vom Blutbad geschossen.
Das entfernte Jaulen wurde lauter. Immer mehr Sirenen kamen dazu. Ich wusste, dass Slidell den Code für »Beamter angeschossen« durchgegeben hatte. Einsatzwagen aus der ganzen Stadt reagierten auf den Notruf.
»Lassen Sie mich das machen«, sagte ich und kniete mich neben Slidell. »Kümmern Sie sich um die Menge.«
Slidell riss den Kopf zu mir herum. Er atmete schwer. »Ja.«
Ich schob meine Hände unter Slidells auf Rinaldis Brust. In Slidells Arm spürte ich ein Zittern.
»Fest! Sie müssen fest drücken.« Eine Ader pochte mitten auf Slidells Stirn. Feuchtigkeit schimmerte auf seinen Haaren.
Ich konnte nicht sprechen, nickte nur.
Slidell schoss in die Höhe und machte einen Satz auf die Gaffer zu, seine Sohlen glitten auf dem Regen und dem Schmierfilm von Rinaldis Blut aus.
»Zurück, verdammt noch mal!« Slidells erhobene Handflächen zeigten eine grässlich tiefrote Färbung.
Ich senkte den Blick, alle Gedanken nur auf ein Ziel gerichtet.
Blutung stoppen!
»Macht mir endlich Platz! Sofort!«, bellte Slidell.
Blutung stoppen!
Zu viel. Mein Gott, einen solchen Blutverlust konnte niemand überleben.
Blutung stoppen!
Sekunden vergingen. Der Regen war jetzt ein langsames, stetiges Nieseln.
Ganz in der Nähe verstummte eine Sirene. Eine zweite. Eine dritte. Lichter blinkten und verwandelten die Straße in einen blitzenden Tümpel aus Rot und Blau.
Blutung stoppen!
Türen öffneten sich. Wurden zugeschlagen. Schritte polterten. Stimmen schrien.
Blutung stoppen!
Als ich um mich herum Bewegung spürte, hob ich den Kopf, ohne die Hände von Rinaldis Brust zu nehmen.
Inzwischen drängten Uniformierte die Schaulustigen zurück.
Mein Blick kehrte zu meinen Händen zurück, die jetzt glänzend und dunkel waren.
Blutung
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