Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
Vom Netzwerk:
stoppen!
    Füße tauchten neben mir auf, ein Paar in Stiefeln, das andere in New-Balance-Laufschuhen. Schlammig. Feucht.
    Stiefel kauerte sich hin und redete mit mir. Ich verstand ihn kaum durch das Mantra, das meine Gedanken kontrollierte.
    Blutung stoppen!
    Stiefel legte seine Hände über meine auf das bluttriefende Hemd. Ich schaute ihm in die Augen. Sie waren blau, das Weiß war von roten Äderchen durchzogen.
    Stiefel nickte.
    Ich erhob mich mit weichen Knien und trat ein wenig zurück.
    Ich kannte die Routine. LAK. Luftwege. Atmung. Kreislauf. Betäubt schaute ich zu, wie die Sanitäter die einzelnen Schritte durchführten, seine Luftröhre kontrollierten, ihm eine Sauerstoffmaske aufsetzten, den Puls an seiner Halsschlagader maßen.
    Dann schnallten sie Rinaldi auf eine Trage, hoben ihn in den Wagen und knallten die Türen zu.
    Ich sah zu, wie der Krankenwagen durch die Charlotter Nacht davonraste.
     
    Slidell und ich überließen den Tatort anderen und fuhren direkt ins Krankenhaus. Unterwegs passierten wir Dutzende von Streifenwagen, die Richtung NoDa rasten. Dutzende andere versperrten die Straße. Die Stadt vibrierte vor Sirenen und blinkenden Lichtern.
    Im Warteraum der Notaufnahme stand bereits ein halbes Dutzend Polizisten. Slidell registrierte sie kaum, bellte nur seinen Namen und verlangte Rinaldis Arzt.

    Eine Empfangsdame führte uns zu Toiletten, damit wir uns das Blut von Händen und Armen waschen konnten. Vielleicht war es auch eine Krankenschwester. Oder eine Sanitäterin. Als wir zurückkamen, bat sie uns, Platz zu nehmen und zu warten.
    Slidell fing an zu toben. Ich führte ihn am Arm zu einer Reihe miteinander verbundener Metallsitze. Seine Muskeln waren so angespannt, dass sie sich hart wie Baumwurzeln anfühlten.
    Alle spürten, welcher Stimmung Slidell war, und ließen uns deshalb in Frieden. Jeder Polizist verstand eine solche Reaktion. Ihre Anwesenheit genügte schon.
    Slidell und ich ließen uns in die Sitze fallen und begannen unsere Wache, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.
    Immer wieder hörte ich die Schüsse, sah Rinaldis gespenstisches Gesicht vor mir. Das Blut. Zu viel Blut.
    Slidell sprang alle paar Minuten auf und verschwand nach draußen. Wenn er zurückkam, umwaberte ihn Zigarettenrauch wie Regengeruch einen Hund. Ich beneidete ihn fast um die Ablenkung.
    Mit der Zeit kamen immer mehr Polizisten. Detectives in Zivilkleidung standen mit Uniformierten in Gruppen zusammen und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen und angespannten Gesichtern.
    Schließlich erschien ein grimmig dreinschauender Arzt mit blutverschmierter Chirurgenkutte. Ein Fleck auf einem Arm sah aus wie der Umriss von Neuseeland. Woran man in einer solchen Situation nicht alles denkt.
    Slidell und ich standen auf, voller Angst und voller Hoffnung. Auf dem Namensschild des Arztes stand Meloy.
    Meloy sagte uns, dass Rinaldi zwei Schüsse in die Brust und einen in den Unterbauch abbekommen habe. Eine Wunde war ein glatter Durchschuss. Zwei Kugeln steckten noch in seinem Körper.
    »Ist er bei Bewusstsein?«, fragte Slidell, sein Gesicht eine steinerne Maske der Entschlossenheit.

    »Er ist noch immer im OP«, sagte Meloy.
    »Wird er es schaffen?«
    »Mr. Rinaldi hat viel Blut verloren. Die Gewebezerstörung ist großflächig.«
    Slidell zwang sich zu einem neutralen Tonfall. »Das ist keine Antwort.«
    Meloy führte uns in einen Personalaufenthaltsraum und sagte uns, wir könnten bleiben, solange wir wollen.
    »Wann kommt er vom Tisch runter?«, fragte Slidell.
    »Das kann man unmöglich sagen.«
    Meloy versprach noch, uns auf dem Laufenden zu halten, und ging wieder davon.
     
    Rinaldi starb um 23 Uhr 43.
    Slidell hörte mit versteinertem Gesicht zu, als Meloy uns die Nachricht überbrachte. Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer.
    Irgendeine Polizistin brachte mich nach Hause. Ich hätte mich bedanken sollen, tat es aber nicht. Wie Slidell war auch ich zu verstört für Höflichkeiten. Später fand ich ihren Namen heraus und schickte ihr eine Karte. Ich glaube, sie verstand das.
    Im Bett weinte ich dann, bis ich nicht mehr weinen konnte. Danach fiel ich in einen traumlosen Schlaf.
    Am Sonntagmorgen wachte ich auf und spürte, dass etwas nicht stimmte, wusste aber nicht so recht, was. Als es mir wieder einfiel, weinte ich noch einmal.
    Die Schlagzeilen des Observer waren riesig, so wie man sie sonst nur für einen Kriegsausbruch oder einen Friedensschluss verwendet. Fette, fünf Zentimeter

Weitere Kostenlose Bücher