Der Tod trägt dein Gesicht
dass er reden konnte, sagte er, dass gerade vor seinen Augen eine Frau erschossen worden sei.”
Casey sah auf. “Er war dabei, als sie erschossen wurde?”
“Ja. Er hat noch die Blutspritzer auf seinem rechten Hosenbein, und die Kabine seines Lieferwagens sieht schlimm aus. Er sagte, sie sei gerade dabei gewesen, zu ihm ins Auto zu steigen, als die Kugeln sie trafen. Der Ärmste! Er ist immer noch ganz durcheinander.”
“Stellen Sie sicher, dass er hierbleibt. Ich will mit ihm reden, sobald ich fertig bin. Und lassen Sie niemanden an den Pick-up.”
“Alles klar, Detective.” Officer Novak ging zu dem Zeugen.
Das Geräusch auf dem Schotter kündigte ein weiteres Fahrzeug an, das die Straße hinauffuhr. Einige Sekunden später bog eine unauffällige graue Limousine um die Kurve. Sie kündigte sich mit angeschalteter Sirene an. Dennis Shannon, Caseys Partner, verlangsamte den Wagen. Er parkte auf der anderen Seite der Absperrung und stieg aus.
Er ging geduckt unter dem Band hindurch und näherte sich ihr mit seinem typischen zögernden Gang, der sie an einen Bären erinnerte. Als früherer Abwehrspieler der Denver Broncos, einer bekannten Footballmannschaft, war Dennis kräftig, stämmig und Furcht einflößend. Allein seine Größe reichte meist aus, um seine Gegner einzuschüchtern. Für den seltenen Fall, dass ein Verdächtiger nicht gleich Angst bekam, brachte er ihn mit demselben wilden Gesichtsausdruck zum Schweigen, der ihm auch auf dem Footballfeld zu Ruhm und Ehre gereicht hatte. In der Abteilung wurde Dennis scherzhaft “Hulk” genannt.
Aber seine animalische Bissigkeit war nur Show. Casey hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass hinter der rauen Schale ein liebenswerter alter Softie steckte. Besonders, wenn es um seine Frau und seinen zweijährigen Sohn Roger ging.
“Hey, Tiger, wie sieht’s aus?”, rief er ihr zu.
Casey sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an und verzog den Mund. “Der Boss hat mich mitten beim Laufen angerufen. Ich habe meinen Tag mit einem sinnlosen Mord begonnen. Und dabei habe ich noch nicht mal einen Kaffee gehabt! Was sagst du nun?”
“Oh, oh. Warte ’ne Sekunde.” Dennis hielt kurz an und hielt seine Hände wie ein Megafon vor den Mund: “Alarmstufe Rot! Casey hatte noch keinen Kaffee! Hat jemand welchen dabei?”
Ein allgemeines Murren wurde laut, und sowohl uniformierte Beamte wie Kommissare setzten sich in Bewegung. Innerhalb von Sekunden brachte ein neuer junger Kollege eine Thermoskanne und gab sie Dennis. “Der ist aus der Maschine vom Revier. Er ist wahrscheinlich so stark, dass man damit eine Eisenplatte zersägen kann, und es gibt keine Informationen darüber, wie alt er ist, aber es ist Koffein.”
“Das ist die Hauptsache. Danke. Sie retten mein Leben.”
“Ich versuche nur, meine Haut zu retten”, gab der junge Polizist zurück und verdrehte dabei die Augen.
Caseys sagenumwobene Koffeinabhängigkeit sowie die katastrophale Auswirkung auf ihren Zustand, wenn sie nicht mit dem Getränk versorgt wurde, waren Teil einer urbanen Legende, die sich Polizisten in der Stadt untereinander erzählten, besonders im Zweiten Bezirk. Ihre Mitarbeiter mochten und respektierten Casey, und sie wurde in der Abteilung von ihren Kollegen gleichberechtigt behandelt. Seit ihr Mann ein Jahr zuvor gestorben war, hatten alle in der Truppe das Gefühl, ein bisschen auf sie aufpassen zu müssen. Aber wenn der Koffeinspiegel in Caseys Blut zu stark abfiel, dann rannten auch die stärksten Polizisten um ihr Leben.
“Hier, Tiger. Nimm einen Schluck”, sagte Dennis und reichte ihr die Kappe der Thermoskanne.
Sie griff danach wie ein Ertrinkender die rettende Leine und spülte die Brühe in drei Schlucken hinunter. Sollte sie den bitteren Geschmack und die Temperatur gespürt haben, ließ sie sich davon nichts anmerken.
“Himmel, die Schleimhäute in deinem Mund müssen aus Asbest sein”, rief ihr Partner aus und verzog das Gesicht.
“Was?”, fragte Casey und sah ihn irritiert an. “Es ist doch nur Kaffee.”
“Machst du Witze? Mit dem Zeug kann man Möbel abbeizen. Ich würde es nicht in den Mund nehmen.”
“Ja, lieber eine altmodische Tasse Java als dieser Kräutertee, den dir Mary Kate verabreicht.”
“Das stimmt. Tut mir außerdem leid, dass ich zu spät dran bin.” Dennis schraubte den Becher zurück auf die Kanne. “Mein Tag hat heute Morgen auch nicht gerade sanft begonnen.”
“Was ist los? Hatte Mary Kate noch einen
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