Der Tod traegt Turnschuhe
Abendessen drehten. Sondern höchstwahrscheinlich um mich. Mein Dad war die klassische Laborratte, relativ groß, dünn und vielleicht ein bisschen streberhaft, zumindest als er noch jünger gewesen war. In seinem Laborkittel fühlte er sich wesentlich wohler als in einem schicken Hemd mit Krawatte. Abgesehen von den paar grauen Strähnen im Haar und den leichten Lachfältchen um die Augen, sah er immer noch genauso aus wie vor zehn Jahren, als er und meine Mom sich getrennt hatten. Mom war mit mir nach Florida gezogen. Sie warb Gelder für diverse Wohlfahrtsverbände ein, was im Klartext so viel hieß, wie alten Frauen das Geld aus der Tasche zu schmeicheln. Darin war sie wirklich unschlagbar. Gleichzeitig aber hatte das zwischen uns ständig zu Streit geführt, weil es mir irgendwann echt zum Hals raushing, ständig meine weißen Handschühchen anzuziehen und als Requisit bei diesem Quatsch mitzumachen.
Das Donnergrollen klang noch weit entfernt, aber es wurde langsam lauter und die Sonne vor dem Fenster verblasste, als dicke Wolken aufzogen. Ich schob einen letzten Haufen Spaghetti auf meinem Teller herum und bekam ein schlechtes Gewissen, als ich Nakitas Blick auffing. Ihr ganzer Teller war noch voll. Ich nickte in Richtung Josh, dass sie ihm wenigstens eine Gabel voll abgeben sollte. Sie presste die Lippen aufeinander und überlegte es sich.
Mein Dad lehnte sich zurück und musterte mich kauend. »So mager seht ihr zwei Mädchen gar nicht aus«, sagte er und seine braunen Augen blickten noch immer ein kleines bisschen gekränkt.
»W-a-s?«, stammelte ich und sah an mir hinunter.
»Muss also irgendwelcher Mädchenkram sein. Zu hoch für mich«, fügte er hinzu und lächelte Nakita an. »Wie wär's, Madison, wenn wir morgen Abend zusammen kochen? Such dir was aus, wir essen, was du willst.«
Josh schnaubte und ich dachte wehmütig daran zurück, wie ich das letzte Mal mit meinem Dad zusammen gekocht hatte. Damals war ich fünf gewesen, und mit einem Vorschulkind Erbsen zu kochen führte auch nicht dazu, dass es sie lieber mochte. Andererseits hatte mein fünf Jahre altes Ich es urkomisch gefunden, meine Eltern dabei zu beobachten, wie sie das in Barbecue-Soße ertränkte Gemüse dann tatsächlich runterwürgten. Der Abend hatte in großem Gelächter geendet. Vielleicht hätten wir öfter mal Barbecue-Erbsen machen sollen.
»Okay«, sagte ich zu meinem Dad, den Blick gesenkt.
Wieder gab Dad sein »Mmmm« von sich, als würde er gerade in die Zukunft sehen. Oder vielleicht in die Vergangenheit. Eine tiefe Melancholie hatte von mir Besitz ergriffen. Ich zwang ein paar Spaghetti hinunter und versuchte krampfhaft, das Aroma der Tomaten und die würzige Oregano-Süße zu genießen.
Es war jetzt sechs Monate her, dass sie mich hierherverfrachtet hatten, kurz bevor ich mit dem Junior-College fertig gewesen wäre. Ich hatte meinen Abschlussball und alles andere an meiner alten Schule verpasst.
Was letztlich dazu geführt hatte, dass meiner Mom der Kragen geplatzt war, wusste ich bis heute nicht.
Vielleicht war es der Abend gewesen, an dem mich die Polizei nach Hause gebracht hatte, weil ich so spät noch allein unterwegs war. Mom hatte gedacht, ich wäre oben und würde im Internet surfen. Oder vielleicht der Abend, an dem ich mich zu dieser Strandparty geschlichen hatte, als ich eigentlich nicht durfte. Oder die spätabendliche Eskapade mit ein paar Freunden, als wir um die Boje ganz weit draußen geschwommen waren. In letzterem Fall hatte ich mir aber absolut nichts vorzuwerfen, schließlich hatte ich ja angerufen und Bescheid gesagt, wo ich war. Meine Mutter war trotzdem ziemlich an die Decke gegangen.
Aber was auch immer der Grund dafür gewesen war, dass meine Mom mich zurück in den Norden geschickt hatte, ich war mittlerweile froh darüber. Ich lächelte und betrachtete die hässliche Tapete mit den gelben Rosen darauf, an die ich noch vage Kindheitserinnerungen hatte. Eigentlich hatte ich gedacht, ich wäre nur von einem Gefängnisaufseher zum nächsten weitergereicht worden. Aber als ich meinen Dad dann wieder ganz neu kennenlernte, war ich ziemlich positiv überrascht. Ich rechnete ihm hoch an, dass er mir tatsächlich zuhörte, wenn ich ihm erklärte, warum ich unbedingt auch noch ein fünftes Paar lila Sandalen brauchte. Meine Mom kapierte einfach gar nichts von meinem Stilempfinden. Mein Dad zwar auch nicht, aber er versuchte es wenigstens.
Ganz im Ernst, ich gab mir alle Mühe, eine gute Tochter
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