Der Tod traegt Turnschuhe
sie trotzdem eingeladen, zum Abendessen zu bleiben. Denn immerhin bedeutete das, dass ich nicht allein in meinem Zimmer vor mich hin brütete oder mich von anderen Leuten fernhielt, wie ich es am Anfang getan hatte, als ich gerade hergezogen war. Dass ich heute gleich zwei Freunde zum Essen mitgebracht hatte, hatte ihm wahrscheinlich nicht nur den Tag, sondern die ganze Woche gerettet.
»Noch nicht so lange«, sagte sie und meinte noch nie.
Dann fügte sie hinzu: »Ich bin nicht besonders kreativ. Ich mache da nur mit, weil Madison meint, dass es so leichter ist, mich anzupassen.«
»An der neuen Schule«, ergänzte ich hastig.
»Ich werde nie so schöne Fotos machen wie Madison«, seufzte Nakita.
»Ja«, Josh nickte eifrig, während er mit einem Stück Brot das letzte bisschen Soße von seinem Teller wischte, »Madison macht super Fotos.«
»Ach!«, rief mein Dad so laut, dass ich zusammenzuckte. »Jeder Mensch ist kreativ. Du musst dich nur ein bisschen dran gewöhnen. Madison macht das ja auch schon ewig.« Sein Blick verklärte sich, als er in Erinnerungen schwelgte. »Wahrscheinlich weiß sie es nicht mehr, aber ich hab sie immer mitgenommen, wenn ich irgendwo Proben nehmen musste. Ihre Mutter hat ihr die Kamera geschenkt, damit sie sich dabei nicht langweilt.«
»Doch, das weiß ich noch«, entgegnete ich und fragte mich, ob Dad es merken würde, wenn ich mit Josh die Teller tauschte. Vor ungefähr drei Jahren hatte ich die Fotoalben mit den Bildern von Bäumen und Wolken wegwerfen wollen, aber meine Mom hatte sie gerettet und irgendwo versteckt. »Ich hab meine alte Kamera oben.« Endlich bot sich eine Fluchtmöglichkeit. Ich nahm meinen fast noch vollen Teller und stand auf. »Seid ihr denn schon fertig?«, rief mein Dad und sah mich verständnislos an, während Nakita meinem Beispiel folgte. Josh blinzelte zu uns hoch, schnappte sich noch ein letztes Stück Brot und stand dann ebenfalls auf.
Wieder bekam ich Gewissensbisse, besonders, als ich mein Essen in den Mülleimer kippte und den Teller dann unter dem Wasserhahn abspülte. Mein Dad war einfach toll, seit ich zu ihm zurückgezogen war. Er gab mir das Gefühl, dass er mich gern um sich hatte, und ließ mir gleichzeitig meinen Freiraum. Doch die Tatsache, dass ich gestorben war und niemandem davon erzählen konnte, schien uns weiter voneinander zu entfernen als die tausend Meilen, die früher zwischen uns gelegen hatten.
Außerdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass er sich doch noch an die Nacht, in der ich gestorben war, erinnerte. Nicht dass er jemals irgendetwas darüber sagte, aber er war mir gegenüber jetzt manchmal so unsicher, wie er es vorher nie gewesen war. Barnabas hatte das Gedächtnis meines Dads manipuliert, aber ich glaube, er erinnerte sich trotzdem - auf irgendeiner Ebene. Darum wollte ich nicht mit i hm allein sein, denn ich hatte Angst, dass er mich irgendwann darauf ansprechen würde.
Nakita warf schweigend ihr Essen weg. Neben ihr spülte gerade Josh seinen Teller ab. »Ich fahr dann jetzt nach Hause«, seufzte er und klang enttäuscht. Ich hätte ihn furchtbar gern mit zurück nach Fort Banks genommen, aber Nakita konnte uns nicht beide tragen. »Ich kann aber noch beim Abwasch helfen«, fügte er hinzu. »Nakita und ich machen das schon«, sagte ich schnell. Das bin ich dir schuldig, dachte ich, sprach es aber nicht laut aus. »Du willst bestimmt zu Hause sein, bevor es anfängt zu regnen.«
»Ich kann auch im Regen Auto fahren«, erwiderte Josh mit einem Grinsen.
Mein Dad schob seinen Stuhl zurück und kam zu uns an die Spüle. »Schön, dass du da warst, Josh«, sagte er freundlich. »Ich mag es, wenn ein bisschen was los ist im Haus und ich für mehr als eine Person kochen kann.«
»Dad …«, stöhnte ich. »Ich hab einfach keinen Hunger. «
Er sagte nichts, sondern hob bloß die Augenbrauen. Josh wischte sich die Hände an der Jeans trocken, trat zögerlich von der Spüle zurück und blickte mich an. Er wirkte, als wollte er noch irgendwas loswerden. »Ich hole schnell meine Sachen«, sagte er schließlich und huschte aus der Küche, wo er uns in unbehaglichem Schweigen zurückließ.
Nakita brachte den Brotteller zur Spüle und zögerte nur einen winzigen Augenblick, bevor sie nach der Tüte griff und das Brot wieder hineinpackte. »Können wir vielleicht später den Abwasch machen?«, fragte ich meinen Dad. »Ich will noch …«Ich will noch was?, überlegte ich panisch. Ich konnte ja schlecht sagen, dass
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