Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
Vom Netzwerk:
machen. Oder wenn ich während der Operation sterben würde. Was dann? Könntest du dir das jemals verzeihen?“
    Ich musste zugeben, dass ich das noch gar nicht bedacht hatte. Es war ein valider Punkt, aber dabei zusehen zu müssen, wie mein Vater auf dem Weg in den Tod war, beruhigte mich auch nicht gerade.
    „Ich weiß, dass du nur mein Bestes willst“, sagte mein Vater, „aber ich will nicht, dass du dir womöglich Vorwürfe machen musst.“
    „Das ist nett gemeint, aber meinst du nicht, dass ich das selbst entscheiden sollte?“
    „Und meinst du nicht, dass ich das selbst entscheiden sollte?“, betonte mein Vater und drehte den Kopf in meine Richtung. Ich sah in seine Augen und ahnte, dass es nicht mehr lange dauern würde.
    „Ich schätze, du hast recht, aber …“, setzte ich an zu sagen.
    „Kein Aber. Ich will mich jetzt nicht streiten. Dafür habe ich im Moment nicht die Kraft“, unterbrach er mich.
    Der Typ im Bett gegenüber röchelte im Schlaf.
    „Das macht der Kerl die halbe Nacht. Das nervt vielleicht“, sagte mein Vater. Er lenkte vom Thema ab und begann schließlich über Anja zu sprechen, die daheim geblieben war, weil sie mittlerweile eine größere Kugel von Bauch mit sich herumzuschleppen hatte. Es war Smalltalk, der uns beide davon ablenken sollte, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt war. Aber mein Vater wusste, dass er das Kind nie sehen würde, und so schwang das Thema Sterblichkeit doch immer wieder in die Konversation zurück.
    „Ich wünschte, ich könnte nach Hause“, sagte er unvermittelt.
    Es gab die Möglichkeit für ihn, nach Hause zu kommen. Wenn er jede weitere Behandlung ablehnen würde, könnte er nach Hause gehen und dort sterben. Es würde aber auch bedeuten, dass er jegliche Hoffnung auf Genesung aufgeben würde. Ich wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde, auch wenn ich nicht genau wusste, wie viel. Aber ich konnte nicht auch noch dafür sorgen, dass der Prozess schneller vonstattengehen würde.
    „Sie werden dich noch einmal operieren und den Stent fixen, dann ist alles wieder gut. Danach kannst du ja bald nach Hause.“ Wieder log ich. Ich musste daran denken, wie ich als kleines Kind begonnen hatte, meine Eltern zu belügen, weil ich nichts über Tod verraten wollte.
    Ich verabschiedete mich von meinem Vater und küsste ihn auf die Wange. Ich hatte das seit Jahren nicht getan. Als ich auf den Flur trat, stand Tod direkt vor mir.
    „Hi“, sagte die Stimme.
    Ich sah schnell zurück ins Zimmer, aber Tod beruhigte mich.
    „Keine Panik. Noch ist es nicht so weit.“
    Ich schloss die Tür und ging mit ihm den Gang hinunter.
    „Du hast mich, verdammt noch mal, ganz schön erschreckt.“
    Tod grinste. „So langsam solltest du dich daran doch gewöhnt haben, oder?“
    „Ich denke nur jedes Mal, dass gleich etwas Schreckliches passieren wird.“
    „Was Schreckliches passiert immer, zu jeder Zeit. Ich kann dir nur versichern, dass hier gerade nichts Schreckliches passiert“, sagte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
    „Was treibst du hier?“
    „War gerade in der Gegend. Dachte, ich schau mal vorbei.“
    Ich wandte mich ihm zu. „Du warst in der Gegend, meint, dass irgendwer gestorben ist.“
    Tod zuckte nur mit den Schultern. „Wie geht’s der Familie?“
    Ich wunderte mich schon über Tods Interesse. „Ganz gut. Der Kleine wird vermutlich ein Christkind.“
    „Oh, es wird ein Sohn?“, fragte Tod. „Herzlichen Glückwunsch“, ergänzte er, nachdem ich genickt hatte.
    „Und zu einer Tochter hättest du mir nicht gratuliert?“
    „Willst du schon wieder Streit anfangen?“, fragte er. „Ich habe lediglich höflich nachgefragt.“
    „Ich kann nichts dagegen machen, aber jedes Mal, wenn du dich für irgendetwas interessierst, macht mich das nervös.“
    „Wie geht es deinem Vater?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Siehst du, genau das meine ich! Das weißt du doch besser als ich, oder etwa nicht? Ich befürchte, er kommt nicht mehr aus dem Krankenhaus raus. Habe ich recht?“
    Tod blickte mich an und nickte kurz darauf.
    „Scheiße“, sagte ich. „Wann?“
    „Hast du es nicht selbst sehen können?“, fragte Tod.
    „Ich weiß nicht. Bei meinem Vater ist das schwieriger. Bei anderen Leuten scheint das besser zu klappen.“
    Tod spitzte die Lippen und brummte vor sich hin. „Ja, das kann schon sein. Mir erging es ähnlich.“
    Wir schwiegen einen Moment.
    „Ich muss dann gehen“, sagte Tod.
    „Irgendwann musst du mir mal

Weitere Kostenlose Bücher