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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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half, das Essen vorzubereiten, blieb ich im Wohnzimmer bei meinem Vater, der sich sonst immer um das Essen gekümmert hatte, mittlerweile aber zu schwach dafür war.
    „Ich habe ganz schön Schiss“, platzte es plötzlich aus ihm heraus, und ich bemerkte seine feuchten Augen.
    Mir fielen partout keine tröstenden Worte ein. Was sollte ich ihm auch sagen? Alles wird okay? Ich wusste, dass das eine Lüge war.
    „Ich sollte mich wohl glücklich schätzen, dass ich zumindest noch die Hochzeit mitbekomme, was?“, sagte er. „Obwohl ich da wohl auch keine große Spaßkanone sein werde.“
    „Mach dir darüber mal keine Gedanken. Bis dahin geht es dir besser, und dann springst du wieder rum“, log ich. Ich fand mich relativ überzeugend. Mein Vater erwiderte nichts und rieb nur seinen Bauch.
    ***
    Thanatos tauchte eines Tages bei einer Operation auf, die bis dahin relativ gut verlaufen war. Alle Versuche, den Patienten doch noch durchzubringen, scheiterten. Bevor ich die Ursache für den plötzlichen Blutdruckverlust fand, war es schon zu spät. Während wir noch Wiederbelebungsmaßnahmen durchführten, schnappte sich Tod den Schmetterling und wandte sich mir zu.
    „Du wirst es noch bereuen, sie nicht verlassen zu haben.“
    Ich stand wie erstarrt da, was meine Kollegen mit verwirrten Blicken untereinander quittierten, bevor sie den Zeitpunkt des Todes festlegten.
    ***
    Die Hochzeit fand Anfang August statt. In zwei Wochen würde Anja zurück an die Schule gehen müssen. Immerhin hatten wir so die Möglichkeit, wenigstens kleine Flitterwochen zu genießen. Ihr Bauch war mittlerweile schon etwas runder, und sie jammerte darüber, wie fett sie geworden war, aber für mich sah sie trotzdem bezaubernd aus, als sie in ihrem weißen Kleid vor den Standesbeamten trat. Es war nur eine kleine Gruppe von Leuten, die uns dorthin begleitet hatte. Ihre Eltern saßen mit Tränen in den Augen da, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob das Freudentränen oder Tränen des Ärgers waren, weil ihre Tochter den Falschen heiratete. Bei meiner Mutter wüsste ich, dass die Freudentränen echt waren. Bei meinem Vater, der mittlerweile so sehr abgenommen hatte, dass er in seinen alten Anzug passte, war ich mir nicht ganz sicher, ob er nicht auch wegen seiner Schmerzen weinte.
    Ein paar Freunde, die Anja in unser Leben gebracht hatte, waren ebenfalls dort. Von meiner Seite war allerdings nur ein Freund da, unbemerkt von den anderen.
    „Ich hoffe, deine Anwesenheit hat nichts mit dem Gesundheitszustand eines unserer Gäste zu tun?“
    „Keine Bange. Übrigens will ich dir auch nichts mehr ausreden. Ich bin nur um der alten Zeiten willen hier. Und wegen der Hochzeit, natürlich“, sagte Tod.
    Vermutlich wusste er, dass seine bloße Anwesenheit mich an mein Schicksal erinnern würde. Und an seine Warnung. Aber ich akzeptierte, dass er, der mich so lange in meinem Leben begleitet hatte, dabei war, als ich „Ich will“ sprach. Wie könnte ich die schönste Frau der Welt, die neben mir stand und mein Kind erwartete, verlassen?
    Es war fast irreal, wie schnell die Zeremonie vorbeiging. Die Worte purzelten aus mir heraus. Unterschriften wurden gesetzt. Es gab Umarmungen, Hände wurden geschüttelt, Glückwünsche ausgesprochen. Es wurde gegessen und getrunken, doch da war mein alter Freund schon wieder verschwunden und ging seiner Berufung nach. In gewisser Weise vermisste ich ihn bei den Festlichkeiten. Und für meinen Vater war es die letzte Feier seines Lebens.

Kapitel 46
    Ende September lief mein Vater erneut gelb an und wurde wieder stationär im Krankenhaus aufgenommen. Der Stent, der ihm vor einem halben Jahr eingesetzt worden war, musste erneuert werden. Wieder war ich dazu verdammt, anderen die Arbeit zu überlassen, was mir mit fortschreitender Zeit immer weniger in den Kram passte. Es wurde schlimmer dadurch, dass die Operation meines Vaters nicht erfolgreich verlief.
    „Ich wünschte, du wärst zu mir ans Klinikum gekommen, wo ich mich selbst um dich hätte kümmern können“, sagte ich ihm während eines Besuchs. Er hatte bestimmt 20 Kilo weniger auf den Rippen, und die Farbe seiner Haut war unangenehm.
    „Quatsch“, war alles, was er erwiderte.
    „Dann hätte Mama eben ein bisschen durch die Stadt fahren müssen, aber vielleicht müsstest du dann jetzt nicht noch einmal unters Messer.“
    „Und wenn du mich operiert hättest und es auch nicht geklappt hätte, was wäre dann? Du würdest dir doch nur noch mehr Sorgen

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