Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
das Gros meiner Gefühle herausgelassen.
Während der Rest der Nation den Jahrestag der Wiedervereinigung feierte, trösteten Anja und ich meine Mutter und sammelten die restlichen Habseligkeiten meines Vaters im Krankenhaus ein.
Zwei Wochen später fand die Beisetzung in einer kleinen Zeremonie statt, bei der nur wenige Leute anwesend waren. Ein klischeebeladener Nieselregen ging auf uns Trauernde nieder, während wir dem Mann vom Bestattungsinstitut hinterherliefen. Tod gesellte sich an der ersten Weggabelung zu uns und lief schweigend mit. Es gab keine langen Reden, und der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf ging, als die Urne in die Erde hinabgelassen wurde, war, dass die Überreste eines Lebens einen ziemlich kleinen Eindruck machten.
Auf dem Rückweg blieb Tod stehen, und ich drehte mich zu ihm, um ihm zum Dank zuzunicken.
Kapitel 48
Der Termin für die Geburt unseres Kindes war auf den 24.12. angesetzt, aber Anja, ihre Eltern, meine Mutter und ich saßen sowohl am Heiligabend als auch am ersten Weihnachtsfeiertag auf heißen Kohlen und nichts geschah. Als wir am zweiten Weihnachtsfeiertag meine Mutter verabschiedeten, setzten plötzlich bei Anja die Wehen ein.
Wir hatten uns darauf geeinigt, dass die Entbindung bei mir am Klinikum stattfinden würde, also fuhren wir durch die halbe Stadt. Alles Gezeter von Anjas Seite, dass das Baby jeden Moment kommen könnte, erwies sich als Quatsch, denn die Prozedur zog sich bis spät in die Nacht hinein. Komischerweise hatte Anja kaum Lust darauf, von mir zu erfahren, dass Kreißsaal im Grunde vom Wort „kreischen“ abstammte. Auch andere medizinische Hintergrundinfos, die mir durch den Kopf schossen, stießen auf taube Ohren. Es ging so weit, dass mich schließlich die Hebamme ansprach.
„Ich verstehe ja, dass sie sehr aufgeregt sind, aber wenn Sie nicht sofort mit dem Geplapper aufhören, muss ich Sie leider bitten, bis nach der Entbindung draußen zu warten.“
Von da an hielt ich lieber meinen Mund.
Als irgendwann Bibi buchstäblich durch die Wand gesprungen kam, wusste ich, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Sie drehte ein paar Pirouetten und lächelte mir zu. Ich lächelte zurück, aber meine Freude schlug in Entsetzen um, als Tod hinter ihr durch die Wand trat. Bibi schaute ihn kurz an, ignorierte ihn dann aber. Ich selbst hatte plötzlich einen Schweißausbruch.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte mich die Hebamme.
Ich stammelte nur irgendetwas Unverständliches. Die Hebamme schickte eine Schwester zu mir, vermutlich weil sie Angst hatte, ich würde gleich umkippen. Tod schien erst nicht verstanden zu haben, warum seine Anwesenheit mich so aus dem Konzept brachte. Bibi war es, die mir schließlich alles erklärte.
„Keine Angst. Er ist nicht wegen des Kindes hier.“
„Nein, ich bin wegen dir hier“, sagte Tod.
Meine Augen weiteten sich.
„Moment. So war das auch nicht gemeint“, ergänzte Tod. „Ich wollte einfach nur dabei sein, wenn du Vater wirst.“
Das beruhigte mich immerhin ein wenig, aber mein Herz schlug mittlerweile so schnell, dass ich das Gefühl hatte, es würde mir gleich aus der Brust springen.
Bibi fummelte an ihrem Kleid herum und riss einen der Aufnäher ab. Zumindest sah es so aus. Erst jetzt fiel mir auf, dass ihr ganzes Kleid über und über mit kleinen Schmetterlingen bestickt und benäht war. Fasziniert sah ich zu, wie das Stück Stoff in ihrer Hand plötzlich begann, mit den Flügeln zu schlagen. Bibi hauchte den kleinen Schmetterling kurz an, der dann davonflog und zwischen Anjas Beinen verschwand.
Die Hebamme gab Anja Anweisungen zu pressen oder zu atmen, und Anja tat, wie ihr befohlen. Die Anstrengung war ihr ins Gesicht geschrieben, und mittlerweile hingen ihre Haare, vom Schweiß nass, herunter. Die Hebamme machte weiter auf Stabsfeldwebel und kommandierte Anja. Ich fand es etwas sonderbar, eine fremde Frau zwischen den Beinen meiner Frau herumfuhrwerken zu sehen. Ehe ich es mich versah, hatte sie ein kleines menschliches Wesen auf dem Arm. Die üblichen Tests wurden durchgeführt, bis die Hebamme uns endlich sagte, dass Anja einen gesunden Jungen auf die Welt gebracht hatte. Ich küsste Anja und nahm schließlich unseren Kleinen entgegen, um ihn seiner Mutter vorzustellen. Bibi klatschte voll Freude in die Hände und sprang wieder umher. Tod nickte lächelnd und wünschte dem Kleinen ein langes Leben.
Nachdem Anja eingeschlafen war, fegte ich überglücklich durch meine Station und holte mir
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