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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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hatten, schließlich machte das keiner von ihnen hauptberuflich. Jedenfalls hatte ich neben meinen schulischen Aufgaben nun noch zusätzlich Stoff über Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Schifffahrtswegen, Motorenlehre und Flaggenkunde zu bewältigen. Und da mich der Test, den ich in Physik so voller Inbrunst in den Sand gesetzt hatte, in arge Bedrängnis bezüglich meiner Schulnoten gebracht hatte, sorgten meine Eltern dafür, dass ich auch etwas mehr für die Schule tat. Das dafür allseits beliebte Druckmittel für alle Schüler in meinem Alter war der anstehende Autoführerschein, den sich die meisten von ihren Eltern erbetteln mussten, da sie selbst nicht das Geld dafür hatten. Ich war da keine Ausnahme.
    Tod begann mich erst wieder ab Weihnachten zu besuchen. Auf die Frage, wo er denn die ganze Zeit gesteckt habe, antwortete er nur, dass er zu tun gehabt hätte. Es war die Art von Antwort, die kein weiteres Nachfragen zuließ, und ich tat ihm den Gefallen.
    Ich gab ihm zu verstehen, dass ich in den nächsten Monaten sehr damit beschäftigt sein würde, mein Abitur, den Boots- und den Autoführerschein unter einen Hut zu bekommen, und er sah es ein. Trotzdem fanden wir immer noch Zeit, etwas gemeinsam zu unternehmen. Wir waren noch einmal beim Bowling in Moskau, diesmal allerdings auf einer Bahn, deren Besitzer nicht tot hinter dem Tresen lag. In Paris zeigte er mir ein gutes Restaurant, in dem wir relativ ungestört waren. Einen Abend saßen wir auf einer gigantischen Düne in Namibia, aßen Snacks, die wir Minuten zuvor in Indien besorgt hatten, und beobachteten die Sonne, wie sie im Atlantik versank. Im Januar war ich dabei, als Bill Clinton seinen Amtseid schwor. In einem kleinen kroatischen Dorf beobachteten wir Kinder beim Spielen, während ein paar Kilometer weiter ein Krieg tobte. Langweilig war es mit Thanatos jedenfalls nie.
    Ich feierte meinen achtzehnten Geburtstag auf der Station und das Bestehen diverser Führerscheine gleich mit. Da sich mein Freundeskreis im Grunde auf die Leute bei der DLRG beschränkte, war die Zahl der Partygäste recht übersichtlich, aber solange es Bier und etwas zu essen gab, war ohnehin alles in Ordnung. Thanatos besuchte mich auch an diesem Tag. Zum ersten Mal in meinem Leben erhielt ich ein Geschenk von ihm. Es war eine kleine handgenähte Puppe, die ich kurz zuvor bei einem der Mädchen aus dem kroatischen Dorf gesehen hatte.
    „Die Kleine braucht sie jetzt nicht mehr“, sagte Tod lediglich. Kurz danach sprachen mich Kameraden auf meine geröteten Augen an, aber ich entgegnete nur, dass ich etwas ins Auge bekommen hatte. Abgesehen davon, wurde darüber getuschelt, wer mir wohl eine Puppe geschenkt haben mochte.
    ***
    Diese Puppe fand einen Platz in meinem Schrank und erinnerte mich stets daran, dass es Elend und Krieg auf der Welt gab. Und weil ich nun die magische 18 überschritten hatte, erhielt ich bald einen Brief, der mich dazu aufforderte, mich zu einem bestimmten Datum und zu einer bestimmten Zeit im Kreiswehrersatzamt einzufinden, wo man bei mir die Wehrtauglichkeit feststellen wollte. Man könnte also sagen, dass mich der Krieg daheim eingeholt hatte.
    Die deutsche Einheit war für das Land sicherlich Segen und Fluch zugleich. Für Berliner bedeutete sie, dass man nicht mehr von allen Seiten aus eingeschlossen war und dass die Stadt, die fast 30 Jahre von einer Mauer zerschnitten gewesen war, nun endlich die Gelegenheit bekam, wieder zu der Weltstadt zu werden, die sie schon immer hatte sein sollen. Für die männlichen Westberliner bedeutete es aber auch, dass sie jetzt zur Bundeswehr eingezogen werden durften.
    Meine Musterung kam einer Fleischbeschau am Fließband gleich. Etliche junge Männer meines Jahrgangs und einiger Jahrgänge davor wurden ärztlich untersucht und nach Tauglichkeitsgrad eingeordnet. Dazu war es unter anderem nötig, dass einem an den Sack gefasst und in den Arsch geschaut wurde, während man sich mit gespreizten Backen vorbeugte. Ein Erlebnis, woran jeder Junge sicherlich gern zurückdenkt.
    Ich wurde als wehrtauglich befunden und konnte nun entscheiden, ob ich nach meinem Abitur zur Bundeswehr gehen oder verweigern würde. Damals dauerte der Wehrersatzdienst allerdings noch 15 Monate, so dass ich arge Probleme bei einer Verweigerung bekommen hätte. Die Zeitpunkte, ein Studium oder eine Lehre anzufangen, wären dann vorbei, und ich könnte bis zu einem Jahr verlieren. Ich entschied mich also, die zwölf Monate fürs Vaterland

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