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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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unpersönlich, änderte sich das mit der Zeit, und nach Damms Suizid hatte ich das Gefühl, dass ich ihr alles anvertrauen konnte. Bis auf die Sache mit Tod natürlich. Ich erzählte ihr, was ich dachte, tat und vorhatte, all den sonderbaren Kram, der mir bei der Bundeswehr zustieß, und versuchte dabei möglichst witzig und originell zu sein. Meine Hoffnung war weiterhin, sie durch Briefe zu becircen und so für mich gewinnen zu können. Obwohl ich mir sicher war, dass ich sie gut unterhielt, kamen mir doch Zweifel, was die Möglichkeit einer romantischen Beziehung zu ihr anging. Sie erzählte von Heidelberg, den tollen Kneipen und den Sachen, die sie mit ihren Kommilitonen unternahm. Das Studium klang nicht sonderlich spannend, die Partys, auf denen sie viel Zeit zu verbringen schien, klangen da schon besser. In meinem Kopf setzte sich der Gedanke fest, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie dort jemanden kennenlernen würde. Und dieser Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht.

Kapitel 24
    An einem freien Wochenende hatte ich mal wieder Lust, mich auf der Station blicken zu lassen. Seitdem ich bei der Bundeswehr war, hatte ich nur einmal vorbeigeschaut, um meine superkurzen Haare vorzustellen und mich darüber zu beklagen, dass das Essen beim Bund fast so schlecht war wie Andreas’ Kochversuche. Die Saison neigte sich ihrem Ende zu, und ich wollte außerdem die letzten Sonnenstrahlen genießen, indem ich mal wieder gemütlich auf dem Sand lag und nicht darüber marschierte.
    Unglücklicherweise hatte ich, statt am Strand zu liegen, das Vergnügen, beim Kartenspielen zu verlieren, was bedeutete, dass ich den Abwasch machen musste. Trotzdem merkte ich, wie sehr ich die Leute vermisst hatte … und das Fahren mit dem Boot. Wir machten einen kleinen Abstecher zum Niederneuendorfer See, wo ich mal kurz den Motor aufheulen ließ, so dass mir die Seeluft übers Gesicht strich. Soweit man in Berlin auf der Havel von Seeluft sprechen kann.
    Nach der Fahrt gingen wir über den Strand zur Station. Es waren etliche Familien dort. Kleine Kinder spielten im Matsch, größere rannten hin und her, Jugendliche lagen sich mit ihren Partnern in den Armen. Und dann traf es mich plötzlich wie ein Schlag.
    Während ich an den Menschen vorbeischlenderte, blitzten Bilder aus ihrem Leben in meinem Kopf auf. Ein junger Kerl, der gerade mit seiner Freundin knutschte, fiel vor meinem geistigen Auge von der Leiter und brach sich das Genick. Besagte Freundin lag alt und zittrig in einem Krankenhausbett und wollte nach einem Wasserglas greifen, woraufhin sie aus dem Bett fiel und nicht wieder aufstand.
    Eine Mutter von drei Kindern erstickte im Restaurant an einem Stück Fleisch. Ein Junge, der gerade eine Sandburg baute, lief vor ein Auto und flog durch die Windschutzscheibe. Ein Vater, der mit seinem kleinen Sohn spielte, schaute fern in seinem Sessel und zuckte noch einmal kurz, bevor ihn das Leben verließ.
    Ich stolperte plötzlich mehr, als dass ich ging, während mich die geballten Lebensgeschichten oder vielmehr Todesgeschichten der Leute trafen. Einer meiner Kameraden fing mich auf, als ich im Begriff war zu fallen. Ich blickte ihn an und sah, wie er unter den Schmerzen der Dekompressionskrankheit nach dem Tauchen stirbt.
    Noch halb in seinen Armen hängend, beobachtete ich einen Jungen von vielleicht fünf Jahren, der lachend ins Wasser rannte. In meinem Kopf sah ich, wie er sich an einer Begrenzungsboje der Badestelle den Kopf stößt und im viel zu tiefen Wasser ohnmächtig ertrinkt.
    Die Visionen von den Menschen wurden bald schwächer, und ich schüttelte meinen Kopf, um wieder klar denken zu können. Andreas und die anderen Kameraden brachten mich zur Station, wo ich mich erst mal hinlegen sollte. Ich ruhte mich einen Moment lang aus, aber der Gedanke an den sterbenden Jungen ließ mich nicht mehr los. Ich sprang wieder auf, stellte mich an die Reling unserer Terrasse und suchte das Wasser nach ihm ab.
    Das Kind war zuerst weit und breit nicht zu sehen. Nervös schaute ich zu den Bojen, aber an denen spielten nur ältere Kinder, die sich an dem kleinen Metallgriff auf der Oberseite hochzogen und zurück ins Wasser plumpsen ließen. Im Grunde war das nicht gestattet, aber in der Regel sahen wir darüber hinweg. Ich ließ den Blick schweifen und entdeckte den Jungen schließlich am Ufer. Er baute eine Kleckerpampe-Burg und rief nach seiner Mami, die von ihrer Decke nur einen flüchtigen Blick auf das Meisterwerk ihres

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