Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
warten wollten.
Ich versuchte aufzustehen, aber ein plötzlicher Schmerz ließ mich gleich wieder auf die Knie sinken.
„Das sieht nicht gut aus“, sagte Nina, eine der Kameradinnen, die erst in diesem Jahr zu uns gestoßen waren. Sie deutete auf meinen Fuß. Ich folgte ihrem Blick und sah eine große Scherbe, die tief in meiner Fußsohle steckte.
„Großartig“, kommentierte ich die Entdeckung. „Keine gute Tat bleibt ungesühnt.“
Trotzdem half Nina mir auf, und von ihr gestützt, humpelte ich zur Station. Die Menschenmenge zerstreute sich derweil, aber ich spürte die Blicke der Leute immer noch auf mir ruhen. Sie zeigten auf mich und tuschelten. Das war mir unangenehm, und ich konnte mir auch keinen Reim darauf machen. Sicher, ich hatte das Kind gerettet, aber ich fragte mich, wie vielen Leuten überhaupt klar war, wie knapp es um den Kleinen stand.
Nina setzte mich vorsichtig auf der Terrasse ab und sagte: „Bei Gelegenheit musst du mir mal den Trick verraten.“
„Was für einen Trick?“, fragte ich, aber sie war schon im Sanitätsraum verschwunden. Ich schaute mir die Wunde unter meinem Fuß an. Sie blutete und schmerzte, aber es machte nicht den Eindruck, als wäre es irgendwas Schlimmeres. Ich biss die Zähne zusammen und zog mit dem Finger die Scherbe raus. Das tat mehr weh, als ich erwartet hatte und ein Quell von Flüchen kam mir über die Lippen.
Nina kam gerade mit Verbandmaterial zurück und schüttelte nur den Kopf. „Warum müssen Männer gleich immer an allem rumfummeln? Lass mich den Rest erledigen.“
Sie säuberte die Wunde und sah auch, dass es nichts war, was nicht durch ein Pflaster behoben werden konnte.
„Irgendwann möchte ich auch mal wissen, weshalb man diese scheiß Schnittwunden im Wasser nicht bemerkt und trotzdem hinterher blutet wie eine Sau.“
„Eines der ewigen Mysterien“, sagte Nina und beendete ihre Arbeit. „So, fertig.“
„Danke“, sagte ich zu Nina und stand auf. Ein scharfer Schmerz schoss mir durchs Bein. Sofort ließ ich mich wieder auf die Terrassenkante fallen.
„Was ist los?“, fragten Nina und die anderen.
„Mir ist spontan die Lust am Tanzen vergangen. Was glaubt ihr?“
„Aber die Wunde war sauber. Ich habe mir das genau angesehen. Da ist nix mehr“, sagte Nina, und ich widersprach ihr nicht, denn ich hatte selber gesehen, dass sie ganze Arbeit geleistet hatte. Ich versuchte noch einmal aufzustehen, aber das Ergebnis war dasselbe. Der stechende Schmerz klang ab, als ich mich wieder hinsetzte.
„Mist, ich glaube, ich habe mir den Fuß verknackst.“
Andreas bot an, mich ins Krankenhaus zu fahren. Er nahm meine Tasche, damit ich sie nicht später noch einmal würde holen müssen, und half mir auf dem Weg zum Parkplatz. Er stützte mich ab und an, wenn ich hinzufallen drohte. Ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz und versuchte, nirgends mit dem Fuß hängenzubleiben, was gar nicht so einfach war, da Andreas’ Auto etwas von einem fahrbaren Müllcontainer hatte. Überall lag irgendwelcher Kram herum, leere Cola-Flaschen, volle Cola-Flaschen, Zigarettenschachteln, Werkzeug … Mit meinem gesunden Fuß schob ich ein paar Flaschen so zusammen, dass ich meinen verletzten Fuß darauf ablegen konnte.
Es hatte selbstverständlich seinen Grund, dass der ganze Kram im Innenraum des Autos lag: Im Kofferraum war kein Platz dafür, denn dort war die Anlage verstaut. Andreas war offenbar der Meinung, dass er etwaige körperliche Minderwertigkeiten zwar nicht mit seinem japanischen Kleinwagen kompensieren könnte, dafür aber mit einer Stereoanlage, die man gut und gern als Schädelspalter hätte bezeichnen können. Kaum war der Wagen angesprungen, drehte er die Musik so laut auf, dass einem davon auch in 500 Meter Entfernung die Ohren bluteten. Wollte man das Radio leiser drehen, dann war es nicht ungewöhnlich, wenn er einem auf die Finger schlug und einen Blick zuwarf, als würde man kleinen Kindern die Zehen mit einem Seitenschneider abtrennen. Dementsprechend kam ich nicht nur mit einem schmerzenden Fuß, sondern auch fast mit einem Hörsturz im Krankenhaus an.
***
Die wichtigste Person in jedem Krankenhaus befindet sich in der Pförtnerloge. An dieser wahren Krone der Schöpfung führt kein Weg vorbei, vor allem nicht, wenn man sich erdreistet, mit dem eigenen Auto einen verletzten Menschen auf das Gelände bringen zu wollen. Andreas brauchte fast drei Minuten, bis er den Wachmann überzeugt hatte, uns hereinzulassen. Natürlich war
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