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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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mehr bremsen. „Ich kann im Augenblick nicht mit dir reden, ich brauche Zeit, um das hier zu verarbeiten. Ich hatte gehofft, du könntest das verstehen, aber solche menschlichen Gefühle sind dir ja völlig fremd.“
    Tod knallte den Stiel des Keschers auf den Boden. Der Comic-Nerd in mir erwartete fast, dass sich Tod in Thor verwandeln und aus dem Stock wütende Blitze zucken würden. Ich hob vor Überraschung fast vom Boden ab und erntete verständnislose Blicke von Kruppa und Remmler. Ich wandte mich an Tod und sagte: „Geh weg.“
    Und das tat er.
    ***
    Damms Suizid brachte den Dienstplan gehörig durcheinander. Jegliche Schießübungen wurden abgesagt, stattdessen hatten wir Unterricht, in dem uns Vorträge darüber gehalten wurden, wie man mit Depressionen und dergleichen umgeht. Stuffz Anselm war für eine Woche krankgeschrieben und tauchte erst wieder zu Damms Begräbnis auf, an dem unsere gesamte Einheit teilnehmen sollte. Dies war die zweite Gelegenheit nach unserem Gelöbnis, bei der wir unsere Ausgehuniform anziehen konnten. Zudem wurde uns nach der Trauerfeier Dienstschluss gegeben, so dass einige zumindest etwas Positives daraus ziehen konnten.
    Ansonsten ging es innerhalb der Einheit fast so weiter wie zuvor. Es wurde wohl erwartet, dass man mit dem Vorfall zurechtkam. Einige wenige Kameraden gingen in psychische Behandlung. Die meisten taten so, als wäre nichts weiter geschehen. Die kollektive Zurschaustellung der Abgebrühtheit des männlichen Individuums.
    Meine Zimmerkameraden und ich waren einige Zeit sehr ruhig und vermieden das Thema ganz und gar, aber das leere Bett erinnerte uns täglich daran, dass Damm seinen Hut, und seine Schädeldecke, genommen hatte.
    „Er schien immer so fröhlich“, sagte Remmler in einer Nacht, als der Vorfall schon ein paar Wochen zurücklag. Bis dahin hatte keiner von uns ein Wort darüber verloren. „Von dem hätte ich nie gedacht, dass er sich das Hirn wegpustet.“
    Auf der anderen Seite drehte sich Kruppa im Bett herüber. Das Quieken der Matratze war nicht zu überhören. „Ich hätte höchstens gedacht, dass er sich das Gehirn wegraucht.“
    Wir alle kicherten ein wenig, bis ich mich an etwas erinnerte: „Wisst ihr noch, wie Damm total bekifft Stuffz Anselm angegrient hat?“
    Kruppa richtete sich im Bett auf. „Gib mir zehn!“ Seine Imitation von Stuffz Anselm war ziemlich auf den Punkt.
    Die halbe Nacht tauschten wir Anekdoten über Damm aus, auch kleine Geschichten, die uns, als sie damals passierten, eher auf den Geist gegangen waren. Nun erinnerten wir uns gerne an sie.
    „Als ich die Freundin auf der Beerdigung gesehen habe, fand ich echt nicht, dass die aussah, als würde es sich lohnen, wegen der ’ne Kugel einzufangen“, meinte Kruppa.
    „Es gibt etwas, wofür es sich lohnt, eine Kugel einzufangen?“, fragte Remmler.
    „Auch wieder wahr“, entgegnete Kruppa.
    Das Bett über mir quietschte und wölbte sich, als Remmler seine Position wechselte. „Ich frage mich, wo Damm jetzt ist“, philosophierte er.
    „Drei Meter unter der Erde?“, kam es von Kruppa.
    „Er ist irgendwo, wo es besser ist als hier“, sagte ich. „Der Blödmann muss zumindest nicht mehr den Rest der blöden Ausbildung mitmachen.“
    Ich machte Witze, aber im Grunde fragte ich mich zum ersten Mal tatsächlich: Wohin gehen die Schmetterlinge? Es wäre an der Zeit gewesen, Tod danach zu fragen, aber der hatte sich nach unserem Disput auf dem Flur nicht wieder blicken lassen. Es war merkwürdig. Einerseits hätte ich ihm am liebsten den bleichen Hals umgedreht, so sauer war ich auf ihn. Und doch begann ich ihn langsam zu vermissen. Oder zumindest die Illusion der Freundschaft, die wir zuvor miteinander gepflegt hatten.
    ***
    Etwas, was mich auf der Spur hielt, während ich noch den Tod von Damm verarbeitete, war der Briefverkehr mit Anja. Ich hatte ihr von dem Vorfall erzählt und dabei selbstverständlich verschwiegen, dass ich vorher davon gewusst hatte. Sie war schockiert und wollte wissen, wie es mir ging. Ich bin mir sicher, dass sie, hätte es damals schon erschwingliche Handys gegeben, angerufen hätte. Vermutlich hätten wir unentwegt miteinander telefoniert. So blieb uns nur, alle paar Tage zu schreiben, aber selbst das beruhigte mich ungemein.
    Es war faszinierend zu sehen, wie aus unserer recht sonderbaren Beziehung in der Schule so etwas wie eine echte Brieffreundschaft entstand. Waren unsere Briefe in der Anfangszeit etwas holperig und vielleicht sogar

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