Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
grüßen.“
„Na, dann zeig sie mir doch mal.“
„Da muss ich nach oben.“
„Kann ich mitkommen?“, fragte sie. Ich zögerte und schaute zu unserem Batterietrottel Schubert, der mich als Gefreiter vom Dienst abgelöst hatte, uns gerade die Tür aufschloss und nun mit offenem Mund Anja anstarrte.
„Sicher.“
Als wir die Treppe hinaufgingen, rief uns Schubert hinterher: „Ey, aber nicht so laut, ja?“
Ich rollte nur mit den Augen und schob Anja vor mir her, um ihr weitere Kommentare zu ersparen. Ich erklärte ihr, dass Schubert vor Weihnachten lautstark herumgerufen hätte, dass Santa Claus am Heiligabend Geburtstag habe. Wochen zuvor hatte er kundgetan, dass Jesus und die Dinosaurier zur gleichen Zeit lebten. Mehr brauchte ich dazu also nicht zu sagen.
Wir gingen den verlassenen Flur hinunter bis zu meiner Stube.
„Es ist wirklich keiner hier, oder?“, fragte sie.
„Was hast du erwartet? Es ist Samstag. Krieg gibt’s nur von Montag bis Donnerstag und freitags bis 12 Uhr.“
„Ich könnte dich also wirklich vernaschen, und es würde niemand aus Versehen hereinkommen?“
Ich hatte gerade mein Hemd weggehängt und war dabei, meine Ausgehuniform herauszuholen, aber nun hielt ich inne.
„Wenn wir hier ordentlich Krach machen würden, dann wärst du bestimmt der King des Trupps. Das Laserhirn da unten würde das garantiert allen erzählen.“ Sie setzte sich auf meine Koje und wippte kurz hin und her. „Ich fürchte nur, dass die Betten hier nicht sonderlich bequem sind.“
Als sie sah, wie ich in dem eng anliegenden T-Shirt der Bundeswehr vor ihr stand, musterte sie mich von oben bis unten.
„Du bist ganz schön fit. Der Bund tut dir gut.“
„Äh, danke.“
Sie stand auf und griff nach meinem Arm. Eine Hand strich über meinen Bizeps. „Wirklich knackig. Wenn ich keinen Freund hätte, könnte ich glatt schwach werden.“
Ich hatte das Gefühl, dass mir gerade jemand in die Magengrube gehauen hatte.
„Äh, du … äh … du hast einen Freund?“, fragte ich.
„Ja, ich hab dir doch von ihm erzählt.“
„Du hast mir von einem Typen geschrieben, den du ganz süß fandest, nicht, dass ihr bereits zusammen seid.“
„Oh, na ja, so lange geht das ja auch noch nicht.“
„Ah. Aha.“
Einen Moment lang sah ich wohl aus wie ein begossener Pudel, den man per Fußtritt über den Zaun in ein Löwengehege befördert hat.
„Ist irgendwas?“, fragte Anja. „Du wolltest mir doch deine Ausgehuniform zeigen.“
„Ja. Richtig. Genau.“
Eine Ausgehuniform und ein paar normale Klamotten später waren wir wieder auf dem Weg nach unten, vorbei an dem neugierigen Blick Schuberts.
„Er war phantastisch“, sagte Anja zu Schubert und winkte ihm zu. Ich war mir ziemlich sicher, Schubert schlucken zu hören.
***
Wir besorgten uns ein paar Teilchen vom Bäcker und machten es uns am Lehnitzsee gemütlich, aufgrund der Kälte allerdings nur im Auto. Es war so schön, neben ihr zu sitzen und mir vorzustellen, wie es wäre, öfter mit ihr solche Ausflüge zu machen. Wir unterhielten uns eine ganze Weile, und mir wurde schnell klar, dass es bei solchen Träumereien bleiben würde. Sie erzählte mir von ihrem neuen Freund Peter, ich erzählte ihr, wie Remmler versucht hatte, Kruppa und mir „Dungeons & Dragons“ beizubringen. Sie erzählte mir, wie Peter sie dazu überredet hatte, mit ihm auszugehen, ich erzählte ihr, dass ich einen großen Krach mit jemandem hatte, von dem ich dachte, dass er mein Freund wäre.
Wir verbrachten einen netten halben Tag miteinander, bis sie mich am Nachmittag daheim absetzte, weil sie noch etwas mit ihren Eltern unternehmen wollte.
Als wir uns voneinander verabschiedeten, verfluchte ich innerlich diesen Peter. Der von mir mutig am Schreibtisch gefasste Entschluss, gegen ihn anzutreten, schien auf einmal hoffnungslos und unsinnig. Plötzlich wollte ich nicht mehr so unbedingt nach Heidelberg.
Kapitel 29
Nach den anfänglichen Visionen am Strand hatte ich eine Weile Ruhe vor ihnen. Durch den fehlenden Umgang mit Tod und meine Entscheidung, nicht mehr meine außergewöhnlichen Fähigkeiten zu nutzen, hoffte ich, dass die Auswirkungen abklingen würden. Tatsächlich hatte mich seit dem Streit mit Tod keine Vision mehr heimgesucht. Ich wiegte mich in trügerischer Sicherheit.
Im Mai hatte ich meine Unterlagen an die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen verschickt. Meine Anspannung stieg deutlich, da ich bis frühestens August auf eine Antwort
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