Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
nur „Wat?“, und meine Mutter beschränkte sich auf den Hinweis, dass ich mich dann aber mehr anstrengen müsse, als ich es in der Schule getan hätte. Vielleicht lag es daran, dass sich meine eigene Euphorie in Grenzen hielt, denn mir wurde langsam klar, was ich mir mit einem solchen Studium aufhalsen würde. Zeit für Hobbys oder Freunde würde mir wenig bleiben, „glücklicherweise“ hatte ich von Letzteren auch nicht viel.
Anja war über meine Studienpläne völlig außer sich vor Begeisterung. In ihrem Brief betonte sie, dass Heidelberg ein guter Ort für angehende Mediziner wäre, und versah den Satz mit mehreren Smileys. Beim Lesen machte mein Herz einen kleinen Freudensprung, der allerdings nur so lange anhielt, bis ich in ein paar Zeilen weiter von dem Typen las, den sie auf einer Party kennengelernt hatte und den sie mit den Worten „ganz süß“ beschrieb.
Ich ließ den Brief auf den Tisch fallen. Um Anja näher zu sein, hatte ich in der Studienbewerbung Heidelberg als Wunschort angegeben. Nun kam ich mir plötzlich sehr albern vor. Was hatte ich erwartet? Dass Anja mich so liebte wie ich sie? Dass sie allen Männern aus dem Weg gehen würde und den Tag herbeisehnte, an dem wir uns wiedersehen würden? Darüber hinaus brachte mein Vater es eloquent auf den Punkt: „Wat zum Teufel willste denn in Heidelberg?“
Ich verfiel ins Grübeln. Hatte ich mich mit alldem übernommen? Besonders ehrgeizig war ich nie gewesen. Verlor ich bei Spielen oder Wettkämpfen, so machte mir das nichts aus. Siegertypen, die unbedingt gewinnen wollten, ging ich eher aus dem Weg. Und nun plante ich während des Studiums meine große Liebe für mich zu gewinnen, obwohl sie sich offenbar für einen anderen interessierte. Darüber hinaus bot ich Thanatos die Stirn, versuchte auf seinem Fachgebiet gegen ihn anzutreten. Ich war also drauf und dran, einer von denen zu werden, die ich nicht mochte. Aber ich musste gewinnen. Gewinnen gegen den Tod. Ich musste beweisen, dass er unrecht hatte. Das Leben der Menschen war nicht vorherbestimmt. Niemand musste an einem bestimmten Tag durch eine unwiderrufliche Ursache sterben. Aber erst mal musste ich meinen Wehrdienst zu Ende bringen.
Wenn ich beim Bund nicht gerade dabei war, für mein bevorstehendes Medizinstudium zu recherchieren, schrieb ich die Dienstpläne und erledigte irgendwelchen Schriftkram. Hochtechnisiert, wie die Bundeswehr zu der Zeit war, hackte ich auf einer Schreibmaschine herum und durfte etliche Pläne zwei- bis dreimal anfertigen, weil sich immer wieder ein Tippfehler einschlich. Als der Batterietruppenführer im neuen Jahr entschied, dem Büro seinen gebrauchten PC zu stiften, war ich so glücklich wie ein Kind an Weihnachten. Es war zwar kein Pentium, aber immerhin ein 486er. Ich erstellte eine Wordvorlage für die Dienstpläne und brauchte von nun an nicht mehr Stunden, um so ein Ding zu tippen. Die gesparte Zeit nutzte ich, um meine Fähigkeiten im Flipperspiel zu trainieren, das auf der Festplatte installiert war. Ansonsten hielten wir Bürohengste uns hauptsächlich damit auf, Blödsinn zu machen. Wir bemühten uns also redlich, den Jungs, die in den Haubitzen die schwere Arbeit verrichteten, als Feindbild zu dienen.
Während der Semesterferien im Februar kam Anja nach Berlin und wollte mich besuchen. Wir verabredeten uns auf einen Samstagmorgen, nach Dienstschluss. Sie wollte zur Kaserne kommen, um mich in meiner Uniform zu sehen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich um 8 Uhr auf der Matte stehen würde. Als ich sie vom Kasernentor abholte, fiel sie mir um den Hals.
„Ich freu mich so, dich zu sehen!“, sagte sie, während sie mir einen Kuss auf die Wange drückte. Ich hatte so eine Reaktion überhaupt nicht erwartet, drückte sie aber fest zurück. Wenn man bedachte, dass wir in der Schulzeit so gut wie nichts miteinander zu tun hatten, musste sie unseren Briefverkehr tatsächlich zu schätzen wissen.
Wir gingen langsam zurück zum Batteriegebäude, weil ich mich noch umziehen musste.
„So früh habe ich dich gar nicht erwartet.“
„Ich wollte sichergehen, dass du noch nicht umgezogen bist. Schick siehst du aus.“
„Du meinst, Feldgrün steht mir, ja?“
„Du weißt doch, was man über Männer in Uniform sagt.“
„Nein, weiß ich nicht.“
„Da stehen Frauen drauf.“
Ich schluckte, und sie schaute mich kokett an.
„Du solltest mich mal in meiner Ausgehuniform sehen. Der Hauptmann von Köpenick lässt
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