Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
warten müsste. Außerdem stand das Ende unserer Dienstzeit bevor. Nachdem mein Gips endlich weg war, beschlossen wir noch einmal ins Kino zu gehen, bevor sich unsere Wege trennten.
Bruce Willis starb wieder ganz besonders langsam und rannte den halben Film blutverschmiert herum, während Samuel L. Jackson dem Ganzen noch eine Extraprise Bad-Assness verpasste. Die perfekte Ablenkung für meinen nervösen Zustand, sollte man meinen. Stattdessen verschwamm die Leinwand ab der Hälfte des Films vor meinen Augen, und ganz andere Bilder stürmten auf mich ein. Bilder aus der Zukunft all der Kinobesucher um mich herum. Einige davon waren so erschreckend, dass ich aus dem Saal stolperte, um mir auf dem Klo des Kinos erst mal eine Ladung Wasser ins Gesicht zu schleudern.
„Geht es wieder?“, fragte eine sanfte, dunkle Stimme hinter mir. Ohne mich umzusehen, wusste ich, wer es war. Natürlich war er es. Ich ballte meine Fäuste und versuchte mich zu beruhigen.
„Hatte ich nicht gesagt, dass ich dich nicht wiedersehen will? War ich da eventuell nicht deutlich genug?“
„Doch, doch, ich hatte dich schon verstanden. Aber es fällt mir schwer, dich nicht mehr zu sehen. Die Anzahl meiner Gesprächspartner ist sehr übersichtlich. Und irgendwie sind wir auch aneinander gebunden.“
„Wegen dir kriege ich diese … Anfälle. Mir fällt kein besseres Wort dafür ein. Ich kann darauf wirklich verzichten. Also halte dich fern von mir.“
„Du bist also immer noch wütend“, stellte Thanatos fest.
„Was hast du denn erwartet?“
„Genau genommen hatte ich gehofft, du hättest etwas Zeit gefunden, um über meine Worte nachzudenken und … nun, zur Einsicht zu kommen. Aber ich gehe wohl recht in der Annahme, dass diese Hoffnung vergeblich war.“
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Diese Augen, die Weltreiche hatten vergehen sehen.
„Falls du jemals wirklich mein Freund gewesen bist, dann hörst du auf, dich in meiner Nähe aufzuhalten. Ich will diese Anfälle nicht mehr haben.“
„Selbst wenn ich nicht dabei wäre, würdest du die Bilder immer noch sehen. Über kurz oder lang wirst du es besser kontrollieren können, aber völlig verschwinden werden sie nicht. Nie wieder.“
Ich wandte mich wieder dem Waschbecken zu, füllte meine Hände mit einer weiteren Ladung Wasser und warf sie mir ins Gesicht. Als ich mich aufrichtete, trafen sich unsere Blicke im Spiegel. Tod hob seine Augenbrauen, erwartete offenbar eine Reaktion von mir. Ich wischte mir das Gesicht am Ärmel ab und ging zur Tür. Ich war es so leid, zu diskutieren.
„Verschwinde einfach“, sagte ich, ließ Tod stehen und ging zurück in den Kinosaal. Noch bevor ich unsere Sitzreihe erreicht hatte, sah ich, wie Remmler und Kruppa in einer weit entfernten Zukunft sterben würden. Für den Rest des Films versuchte ich diese Bilder zu verdrängen.
Der Abschied von Remmler, Kruppa und den anderen Bundeswehrkameraden war unspektakulär. Ende Juni packten wir einfach unsere Taschen und verließen die Kaserne. Wir hatten fast ein Jahr praktisch Tag und Nacht miteinander verlebt, dennoch gingen wir auseinander, als kämen wir von einem gemeinsamen Campingwochenende. Die unausgesprochene Frage hing in der Luft, ob wir uns jemals wiedersehen würden. Im Gegensatz zu den anderen hätte ich diese Frage für jeden Einzelnen beantworten können.
Wenige Tage vor meiner Entlassung hatte sich Anjas Freund bereits wieder von ihr getrennt, und in ihren Briefen klagte sie mir deswegen ihr Leid. Ich wünschte mir nichts mehr, als bei ihr in Heidelberg zu sein und sie in den Arm nehmen zu können. Stattdessen saß ich daheim am Schreibtisch, suchte nach tröstenden Worten und versuchte ein guter Freund zu sein, soweit mir das per Brief möglich war. Ironischerweise sorgte das genau dafür, dass ich bei ihr nur auf der Kumpelschiene landete. Sie überwand ihren Trennungsschmerz, und weil es bei uns sonst nicht viel zu erzählen gab, wurden die Abstände zwischen den Briefen größer. Aus anfänglich bis zu zwei Briefen die Woche wurde ein Brief alle zwei Wochen, dann ein Brief pro Monat, dann ein Brief alle paar Monate. Irgendwo in meinem Hinterkopf hoffte ich noch, wir würden uns näherkommen, wenn ich erst in Heidelberg wäre. Dann erhielt ich die Nachricht, dass ich an der dortigen Uni nicht angenommen war. Mein Glück im Unglück war allerdings, dass ich Berlin zugewiesen wurde.
Bis zum Studienbeginn im Oktober musste ich noch ein paar Monate
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