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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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dass ich nach diesem Zeitraum entweder seine Aufgabe übernehmen oder meine Familie nie wiedersehen würde. Kurz darauf kam unser drittes Kind auf die Welt, und der Gedanke, nie wieder einen Blick auf meine Kinder oder meine geliebte Frau zu werfen, war mir zu viel. So lernte ich mit den Gaben, die ich durch den Tod bekam, umzugehen und bereitete mich vor. Ich dachte, wenn ich weiter bei ihnen sein kann, dann nehme ich alles auf mich, was auch kommen mag. Die sieben Jahre vergingen, und ich zeugte mit meiner Frau noch ein paar Kinder.“
    „Auch ein Hobby“, sagte ich.
    „Eines Tages fuhr ich mit meinen beiden ältesten Söhnen zum Markt in die Stadt und wurde überfallen. Ich versuchte mich zu wehren und meine Waren zu retten. Dafür wurde ich erschlagen und meine Söhne gleich mit. Meine erste Aufgabe als Tod war es, die Schmetterlinge meiner beiden Söhne einzufangen.“
    „Scheiße“, platzte es aus mir heraus.
    „In der darauffolgenden Zeit musste ich mit ansehen, wie meine Frau mich begrub, ein weiteres Kind ohne mich auf die Welt brachte und erneut heiratete. Und in all der Zeit konnte ich sie zwar sehen, aber nicht mit ihr Kontakt aufnehmen. Ich sah sie alt werden und sterben. Meine Freunde wurden zu Schmetterlingen in meinem Netz. Die Seelen meiner Kinder und Kindeskinder wurden meine Beute. Und irgendwann konnte ich die Kinder der Kinder meiner Kinder nicht mehr von den anderen Menschen unterscheiden, und es war mir auch egal.“
    „Verdammt“, sagte ich.
    „Der Tod meiner Frau brach mir das Herz, und jeder Tod in meiner Familie oder auch nur meiner Bekanntschaft war ein Schmerz, der immer größer wurde. Ein Schmerz, so wie du ihn jetzt fühlst im Angesicht des Todes deines Vaters.“
    Ich schüttelte nur den Kopf.
    „Diese Tatsache ist unvermeidlich. Auch Anja wird eines Tages sterben, und wenn du sie bis dahin nicht aus deinem Herzen verbannt hast, wird es dich förmlich zerreißen.“
    „Ich bin sicher, du hast recht“, sagte ich.
    Tod nickte und sah erleichtert aus, dass ich es anscheinend endlich begriffen hatte.
    „Die Geschichte, die du mir erzählt hast, war echt ganz nett. Aber ich habe eine andere Theorie, was diese ganze Sache betrifft“, sagte ich.
    Tod stutzte. Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich ihn so sah. Er drehte mit den knöchrigen Fingern seinen Kescher hin und her. „Ich höre“, sagte er schließlich.
    „Ich glaube …“, setzte ich an, „… dass du diesen ganzen Hokuspokus nur veranstaltet hast, weil du ein egoistisches Arschloch bist.“
    Ich ließ die Aussage einen Moment so im Raum stehen. Tod schaute mich mit geweiteten Augen an.
    „Ich bin der Überzeugung, dass du mich belogen und mein Leben manipuliert hast, weil du einen Freund nur für dich haben wolltest. Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen. Ich glaube dir sogar in gewisser Weise, dass du mich vor all diesen Gefühlen und den Schmerzen schützen wolltest oder immer noch willst. Ich meine sogar, dass du darin vielleicht wirklich einen Freundschaftsbeweis siehst. Aber du hast auch versucht, mich so von anderen fernzuhalten, damit mir gar nichts anderes übrigbleibt, als mich mit dir anzufreunden. So hattest du immer jemanden, zu dem du gehen und reden konntest, nicht wahr?“
    „Also, das ist doch wirklich …“, sagte Tod entgeistert.
    „Nachdem wir uns kennengelernt hatten, ganz am Anfang, als ich noch ein Kind war, da bist du für einige Jahre einfach verschwunden.“
    „Weil ich dich schützen wollte“, warf Tod ein.
    „Weil du mich schützen wolltest oder weil du nicht wusstest, was du mit einem kleinen Kind anstellen solltest? Das Schachspielen wurde zu langweilig, stimmt’s? Und weil du dich mit mir in dem Alter noch nicht richtig unterhalten konntest, hast du dich einfach nicht mehr blicken lassen, bis ich etwas älter war und mehr mit mir anzufangen war.“
    „Das geht wirklich zu weit.“
    „Oh ja? Dabei habe ich den Hauptpunkt noch gar nicht ausgesprochen. Du versuchst mir seit Jahren einzureden, dass ich deine Ablösung wäre, dabei suchst du nur jemanden, der dumm genug ist, deinen Job zu übernehmen, damit du aus deinem selbst gewählten Gefängnis entkommen kannst. Im Grunde machst du dasselbe, was dein Vorgänger mit dir gemacht hat, nur mit einem etwas freundlicheren Gesicht.“
    Tod stand plötzlich auf und stampfte einen Fuß und den Stock des Keschers auf den Boden. „Genug. Ich dachte, wir wären Freunde und du würdest mich verstehen, stattdessen beleidigst

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