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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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daranhängenden Segel. Ein Motorboot voll uniformierter Polizisten raste darauf zu. Die Kamera jedoch war schneller und zoomte die Szene heran.
    Etwas schien im Schlauchboot zu liegen, war aber aufgrund des ungünstigen Winkels zur Kamera nicht richtig zu erkennen. Dann wurde das Boot durch eine Windbö herumgedreht.
    »Schau, die armen Seetaucher«, sagte seine Frau empört, als die Vögel von der Wasseroberfläche aufstoben, während das Motorboot durch sie hindurchrauschte
     
    »Oh, Scheiße«, sagte der Anwalt.
    Im Schlauchboot lümmelte ein Mann, ein Arm hing ins Wasser, sein Mund stand offen, die Augen waren weit aufgerissen und stierten vor sich hin. Er hatte einen schwarzen Vollbart, der ihm bis halb über die Brust reichte.
    Die Kamera strich langsam den Mast hinauf, der sich nicht als richtiger Mast erwies, sondern als hochkant gestelltes Ruder oder Paddel. Und das Segel war auch kein richtiges Segel, sondern eine Art Banner, auf dem Worte geschrieben standen, nicht entzifferbar zunächst, bis es sich durch eine weitere Bö über dem dunkelblauen Wasser der Länge nach ausrichtete: eine schwalbenschwanzähnliche Standarte, wie sie über den Truppen mittelalterlicher Ritter geflattert haben könnte, während sie in die Schlacht galoppiert waren.
    Die Ähnlichkeit endete hier noch nicht. Am breiten Ende des Fähnchens war in leuchtendem Rot das Sankt-Georgs-Kreuz gemalt.
    Daneben standen Worte, schwarze Großbuchstaben. Es dauerte einige Zeit, bis die Kamera und der Wind sie lesbar machten, doch als es so weit war, leerte der Anwalt seinen Gin Tonic in einem Zug.
     
    JETZT SIND ALLE ZWEIFEL AUSGERÄUMT!

Vierter Teil
    Ein Mensch, der Glas beschaut,
    Mag nur auf dieses seh’n,
    Doch kann er, wenn er sich’s getraut,
    Hindurch …
     
    George Herbert,
    »Das Elixier«

1
    Schock der Erkenntnis
    Andy Dalziel hat eine außerkörperliche Erfahrung.
    Wodurch sich dies vom Tanz mit Tottie Truman im alten Mirely Mecca oder vom taubengleichen Gepurzel am strahlenden Himmel hoch über Mid-Yorkshire unterscheidet, weiß er nicht genau, aber der letzte Kern an Bewusstsein, der das Selbst noch in den wildesten Träumen und schrecklichsten Albdrücken bewahrt, erkennt den Unterschied.
    Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass er sich selbst sehen kann? Sonst träumt man sich doch nicht, oder? Und wenn man seinen eigenen Körper sehen kann, liegt auf der Hand, dass man außerhalb davon sein muss.
    Der fragliche Körper liegt rücklings auf dem Bett. Röhren und Schläuche sind daran angeschlossen. Was er dort treibt, das zu eruieren fehlt Dalziels darüber schwebendem Bewusstsein sowohl die Fähigkeit als auch die Neigung, doch verfügt es über das kritische Vermögen, zu erkennen, dass er keinen schönen Anblick bietet. Wenn überhaupt, dann erinnert er ihn an den Kadaver eines gestrandeten Wals, den er einst in der Nähe von Flamborough gesehen hat.
    Und der war schon drei Tage tot gewesen.
    Zwei Schwestern machen sich am Koloss zu schaffen, säubern ihn, ölen ihn, überprüfen die Ein- und Ausgänge der diversen Schläuche. Welchem Zweck sie dienen, will er nicht unbedingt wissen, aber er bedauert, dass solch ein adrettes Mädelspaar nichts Besseres zu tun haben soll, als sich mit einem solch unattraktiven Fleischberg abzugeben.
    Er entfernt sich. Es ist ganz einfach. Diesmal ist es nicht nötig zu furzen, er muss sich noch nicht einmal anstrengen, er muss kaum Willenskraft aufbringen. Es ist anders als bei dem Taubengepurzel, das seinem Traum selbst so gut gefallen hat. Damals hat die schöpferische Phantasie ihm die körperlichen Freuden des Fliegens vorgegaukelt: Luft strömte über seine Gliedmaßen wie Wasser über einen Schwimmer, begleitet wurde dies von der Heiterkeit des Sturzflugs, der Gelassenheit des Gleitens; genau so, wie dieselbe Phantasie ihm die üppige Weichheit von Tottie Trumans Körper erschaffen hat …
    Jetzt allerdings gibt es nichts Körperliches mehr. Fleisch, das war dieser Koloss auf dem Bett. Er ist froh, ihn los zu sein.
    Er schwebt durch andere Zimmer voller Betten, in denen Frauen und Männer in allen möglichen Zuständen liegen, manche komatös, manche von Schmerzen geplagt, manche aufrecht im Bett sitzend, funkelnden Blicks, die es kaum erwarten können, dem allen zu entkommen; manche mit Besuchern, die sie unterhaltsam, anstrengend oder deprimierend finden.
    Und dann dringt er in eine kleine Station vor, in der nur zwei Betten stehen, eines davon leer, das andere belegt mit

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