Der Tod Verhandelt Nicht
dem so ist, dann bremsen Sie mich. Sie wollen mir weismachen, dass Sie Erfahrung im Umgang mit Polizisten und Kriminellen haben und sich weder von Verbrechen noch von Pistolen einschüchtern lassen. Dann tun Sie aber auch nicht so, als ob Sie sich wundern, wenn ich Sie jetzt, da ich Ihnen meine Geschichte erzählt habe, darum bitte, ebenfalls die Karten auf den Tisch zu legen.«
Bevor sie antwortete, dachte sie eine Weile nach.Vielleicht, um abzuwägen, was sie mir gleich erzählen wollte. Mehrmals fuhr sie sich mit der Zunge über die Unterlippe.
»Kein Bluff, Monsieur Pagano. Ich bin im Norden von Marseille aufgewachsen und habe miterlebt, wie die
banlieues
sich mit Immigranten aus dem Maghreb füllten, die aus den Trümmern des französischen Kolonialreiches geflohen waren. Ich habe mit ihnen gespielt, bin mit ihnen zur Schule gegangen. Bis mir so ein algerischer Bastard die Unschuld geraubt hat. Er war dreißig und ich dreizehn. Als mein Vater davon erfahren hat, ist er ihn suchen gegangen und hat ihm ins Gesicht geschossen … Jetzt können Sie sich vielleicht vorstellen, was ich für ein Leben geführt habe.«
»Wenn man Sie so sieht, würde man das nicht glauben. Selbst so spärlich bekleidet wirken Sie wie eine Signora.«
»Jetzt ja. Jetzt
bin
ich eine Signora.«
»Ihre Heirat war also keine Liebesheirat. Eher ein Freikaufen.«
Sie lachte und wandte den Blick wieder ab. Diesmal mit einem bitteren Zug um den Mund.
»Mehr noch, Monsieur Pagano. Ich fühlte mich danach wie neugeboren. Mein Leben davor war nicht leicht. Immer am Rande des Abgrunds, mal diesseits, mal jenseits der Grenze …«
»Was ist das für eine Grenze, nun, da Sie wiedergeboren sind?«
»Die gefährlichste überhaupt,
mon cher détective
. Weil sich eine Frau jenseits davon nicht mehr als solche fühlt.
Vous comprenez?«
Sie ließ sich wieder auf ihr Handtuch sinken und schloss ihr Bikinioberteil. Dann sprang sie auf. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden …«
Ich sah ihr nach, wie sie auf das Wasser zulief und von den gegen das Ufer brandenden Schaumkronen verschluckt wurde.
Erste Warnzeichen
Der Rest des Tages verlief wie jeder andere Urlaubstag in Sarrala. Um die Mittagszeit herum setzte ich mich auf die Vespa und fuhr nach Tertenia zum Einkaufen.
Ich liebte es, mich unter die Sarden zu mischen. Ich traf lauter Leute, die ich durch Virgilio kennengelernt hatte. Für sie war ich der Freund aus Genua, und der sollte ich auch bleiben. Selbst wenn ich mit einigen von ihnen im Laufe der Jahre mehr als einmal zusammengegessen und getrunken und unterm funkelnden Sternenhimmel gesungen hatte. Zu Mariä Himmelfahrt hatten wir uns, wie es ein lokaler Brauch vorsah, gegenseitig mit Wasserbomben beworfen; im Unterschied zu anderen Gegenden von Sardinien gibt es in Sarrala nämlich viele Brunnen, sodass an Wasser kein Mangel herrscht.
Ich nutzte die Begegnungen beim Einkaufen, um ein bisschen herumzuerzählen, dass ich zum Arbeiten hier sei und den Sohn von Gabriele Sanna suchte. Bei dieser Nachricht zeigte sich auf den meisten Gesichternzuerst Erstaunen und dann Missbehagen. Der Name schien immer noch unangenehme Erinnerungen zu wecken und war eine offene Wunde – selbst nach so langer Zeit noch. Es war, als ob Sannas Schicksal eben nicht einfach nur seine persönliche Angelegenheit wäre, sondern als ob das, was er getan hatte, Schande über seine Insel und deren Bewohner gebracht hätte.
Nach und nach kehrte meine gute Laune vom Morgen zurück. Ich freute mich, dass ich am Abend mit meiner Tochter sprechen würde. Eine leichte Unruhe verspürte ich nur beim Gedanken, was wohl ihre Mutter dazu sagen würde.
Wieder zu Hause, bereitete ich mir ein leichtes Mittagessen zu, Blattsalat, Tomaten und gekochte Eier, dazu eine kleine sardische Melone, grün und zuckersüß, Mineralwasser und ein Glas kühlen Vermentino. Zum krönenden Abschluss kochte ich mir einen Espresso.
Als der Kaffee fertig war, setzte ich mich mit dem Foto von Valentino Sanna auf die Veranda. Die Blätter des Johannisbrotbaums und des Hibiskus rauschten in der Brise, die vom Meer herüberwehte. Die prallen apricotfarbenen Blüten baumelten im Wind wie leuchtend bunte Glocken und es war totenstill.
Während ich mir die Pfeife anzündete, überlief mich ein kalter Schauer. Daher zog ich mir ein altes schwarzes Poloshirt über und machte es mir dann bequem. Die Beine auf einen der Korbsessel gelegt, sog ich mit halb geschlossenen Augen den Rauch ein
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