Der Tod Verhandelt Nicht
und trank meinen schwarzen Kaffee. So ließ ich mich langsam in einen Zustand behaglicher Trägheit gleiten.
Allmählich war ich mir sicher, dass Gina einem kolossalen Irrtum aufgesessen war. Ich betrachtete das Farbfoto. Valentino lächelte mir mit einem derart stupiden Gesichtsausdruck zu, dass ich unweigerlich an die Worte seiner Freundin denken musste.
Wo soll der denn den Mumm herhaben, den Anteil seines Vaters einzutreiben?
Meine außerplanmäßige Dienstreise nahm immer mehr die Gestalt eines entspannten Badeurlaubs an, finanziert mit Mitteln aus einem lange zurückliegenden Raubüberfall. Kurz wanderten meine Gedanken zu der Französin, der ich am Morgen begegnet war. Eine gestrandete Sirene. Eine verführerische Kreatur, die sich auf den Tag ihres letzten Gesangs zubewegte. Auf einmal hörte ich das vertraute Geräusch von Virgilios Geländewagen. Er benutzte den alten weißen Mitsubishi-Pick-up hauptsächlich für den Transport von Werkzeug, Brennholz und den bei seinen Jagdausflügen erlegten Wildschweinen.
Er hielt direkt vor dem Haus. Zwischen den Lippen klemmte der Stummel einer kalten Toscano. Er begrüßte mich mit einem kumpelhaften Lächeln. Offensichtlich war er gut gelaunt.
»Kriege ich bei dir einen Kaffee?«
»Natürlich«, erwiderte ich, stand auf und ging ins Haus.
Virgilio trug ein ausgewaschenes blaues T-Shirt unter einem grünen Overall. Sein Gesicht war schmutzverschmiert, er sah aus wie ein Bauer, der gerade Kupferlösung auf seine Weinstöcke gesprüht hat. Ich stellte den Kaffee und den Zucker auf den Tisch, währendVirgilio seinen Toscano-Stummel knetete. Als er ihn anzündete, stieg eine hellblaue Rauchschwade auf und hüllte ihn in eine stumme Sprechblase aus unergründlichen Gedanken. Er zog den Stuhl, auf dem meine Füße gelegen hatten, zu sich und setzte sich mir gegenüber. Er rauchte. Schlürfte seinen Kaffee. Und schwieg.
»Was willst du?«, fragte ich nach einigen Minuten.
»Nichts.«
»Das glaubst du ja selbst nicht. Du willst wissen, wen ich heute Vormittag getroffen habe.«
»Wieso, hast du jemanden getroffen?«
Ich nannte ihm die Personen, die mir im Dorf begegnet waren, doch er schien nicht sehr interessiert.
»Und du? Hast du dich ein bisschen umgehört?«, hakte ich nach.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe mit ein paar Hirten geredet.«
Seine Augen schienen der Flugbahn einer Fliege zu folgen. Er machte mich wahnsinnig.
»Also gut. Ja, ich habe sie kennengelernt. Heute Morgen am Strand.«
Auf seinem schmutzigen Gesicht machte sich ein Lächeln breit. Die großen weißen Zähne glänzten in der Sonne, hinter ihm explodierten die apricotfarbenen Farbtupfer des Hibiskus in einem der Verandabögen, der in gleißendes Sonnenlicht getaucht war.
»Du hast sie kennengelernt?«, sagte er nur.
»Ja. Eine toughe Frau ist das.«
»Und vielleicht sogar eine Nutte …«
»Virgilio, du wirst doch nicht etwa zum Moralapostel werden?«
Er hob abwehrend die Arme. »Was hast du erfahren? Im Dorf wird erzählt, dass sie einen Liebhaber hat. Vincenzo Puddu, den jungen
attendente
von Ganci.«
»Sie wird wohl die Zeit wieder reinholen wollen, die sie an einen Mann verschenkt hat, der viel zu alt für sie ist. Diese Frau fühlt sich eingeengt, von diesem Dorf und wahrscheinlich auch von ihrer Ehe. Weiß Ganci davon?«
»Ganci weiß angeblich immer alles. Vor ein paar Jahren hat ihm ein Tagelöhner ein Lamm gestohlen. Er hat behauptet, dass es gestorben sei. Dabei hat er es für ein paar Verwandte vom Festland gebraten, die ihn besucht haben. Eine Woche später stand er auf der Straße, mitsamt seiner Familie.«
»Wenn er alt und krank ist, könnte es durchaus sein, dass er bei der Tagelöhnerei seiner Frau ein Auge zudrückt.«
»Ich kenne ihn zwar nicht gut, aber dazu ist er wohl kaum der Typ. Aber das ist noch nicht alles.« Er stellte die Espressotasse auf den Tisch und drückte seinen Zigarillo darin aus. So als ob er damit jede Verantwortung niederlegen wolle. »Ganci hat mich angerufen. Vor einer Stunde. Er hat mich zu sich bestellt.«
»Kommt das öfter vor?«
»Bis jetzt noch nie.«
»Was will er von dir?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht über dich sprechen.«
»Wann fährst du zu ihm?«
»Jetzt gleich. Deshalb wollte ich dich vorher fragen, was die Französin dir erzählt hat.«
»Sie war ziemlich redselig. Ihr Mann habe sie von derStraße weggeholt und sie sei ihm dafür dankbar, aber das mache ihr Leben nicht leichter. Jedoch fühle sie sich
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