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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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meinen Wollpullover über, den ich auf dem Bett hatte liegen lassen, und ging ran.
    »Hallo, Clara.«
    »Ist sie bei dir?«, fragte sie so voller Erregung, dass ihr die Angst leicht anzumerken war.
    »Ja, gerade eben angekommen. Ihr geht’s gut, sie ist bloß ein bisschen müde.«
    »Gib sie mir«, polterte meine Exfrau.
    Wie so oft hatte ich nicht übel Lust, das Gespräch sofort abzubrechen.
    »Aglaja ist vor wenigen Minuten angekommen, jetzt lass mich doch erst mal mit ihr reden. Sie ruft dich später zurück.«
    »Na wunderbar, ihr seid ja schon eine eingeschworene Gemeinschaft. Ich hoffe nur, dass du deine Vaterrolle ernst nimmst und ihr die Leviten liest. Sie muss das Schuljahr zu Ende machen. Du wirst sie in die erste Fähre zurück nach Genua setzen, hast du mich verstanden? Und sie soll bloß kein Theater machen.«
    »Clara, du musst mir wirklich nicht sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Meine Tochter und ich, wir gehen jetzt an den Strand und reden in aller Ruhe. Danach sage ich ihr, dass sie dich anrufen soll.«
    »Pass gut auf, was du machst, Bacci Pagano. Aglaja ist minderjährig, und der Jugendrichter hat mir das Sorgerecht zugesprochen. Ein Anruf, und die Carabinieri kommen und holen sie.«
    »Mach, was du willst. Oder nein, vielleicht nimmst du ja einen guten Rat von mir an: Geh in eine Bar und lass dir zwei doppelte Daiquiri servieren. Die geben dir wenigstens was Menschliches. Und tu es am besten, bevor dich deine Tochter anruft, dann kannst du sie vielleicht dazu überreden, dass sie ohne Geleitschutz nach Hause kommt.«
    »Du verdammter Hurensohn, willst du mich auch noch verarschen?! Nachdem du schon meine Tochter eingewickelt hast und …«
    »Ich habe niemanden eingewickelt«, schnitt ich ihr das Wort ab. »Ich wusste ja nicht mal, dass sie herkommen wollte.«
    »
Du
hast ihr doch vorgeschlagen, nach Tertenia zu kommen!«
    »Ja, in den Ferien.«
    »Genau. Deshalb würde ein verantwortungsvollerVater sie jetzt auch auf der Stelle nach Hause schicken. Das Schuljahr ist erst in einer Woche zu Ende.«
    »Ach, und das, was
ein verantwortungsvoller Vater
so tut, bestimmst du?«
    »Na, du warst ja nie ein Vater für sie.«
    »Du hast es mir ja gar nicht erlaubt.«
    »Bacci, du bist und bleibst ein Dreckskerl.«
    »Wenn Aglaja abgehauen und hierhergekommen ist, will sie dir damit vielleicht etwas sagen. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
    Damit hatte ich einen wunden Punkt berührt. Ihre Stimme wurde laut und schrill.
    »Du weißt doch gar nichts über deine Tochter! Du hast seit einer halben Ewigkeit nicht mehr mit ihr gesprochen, und jetzt bildest du dir ein, dass du
mir
raten kannst, wie ich mit ihr umzugehen habe? Mir, die ich Aglaja aufgezogen habe, Tag für Tag!«
    »Ich bilde mir überhaupt nichts ein. Nur letztlich hat alles irgendwo seine Grenzen.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Es stimmt, ich kenne meine Tochter nicht. Wie auch, wenn du sie mir all die Jahre vorenthalten hast? Aber dich kenne ich weiß Gott gut. Dich und deine bescheuerte Angewohnheit, ständig allen sagen zu müssen, wo es langgeht. Aglaja ist jung, und vielleicht hat sie ja Lust, ihre eigenen Wahrheiten zu entdecken! Auch jene, die ihren Vater betreffen. Hör endlich auf, ständig alles kontrollieren zu wollen, dann werden sich eure Probleme vielleicht auch ohne Carabinieri lösen.«
    Eine kurze Pause trat ein, die vom Widerhall ihrer Gedanken erfüllt war. Die Wut und über lange Zeitgenährte Vorwürfe rumorten in ihr  – eine Zeit, die nicht ausgereicht hatte, um sie die Tatsache verdauen zu lassen, dass wir uns auseinandergelebt hatten, weil ich ebenso wenig in der Lage war, sie zu verstehen und anzunehmen wie sie mich. Clara war und blieb eine offene Wunde für mich. Genauso wie ich für sie. Es war deprimierend, sich vorzustellen, dass diese Wunden womöglich für immer bleiben würden.
    »Sprich mit ihr, und danach soll sie mich anrufen«, war alles, was sie meinen Worten entgegenzusetzen hatte.
    »Gut«, antwortete ich und legte auf.
    Dann ging ich zurück zur Veranda, wo Aglaja im Schatten des blühenden Hibiskus mit dem Hund spielte. Vielleicht war sie hinausgegangen, um nicht zuhören zu müssen, wie sich ihre Eltern stritten und sie als Vorwand benutzten, um sich wieder einmal gegenseitig wehzutun.

Aglaja
    Als ich Aglaja fragte, ob sie mit mir zum Strand hinuntergehen wolle, rümpfte sie die Nase, und auf ihrem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck, den ich noch aus ihren Kindertagen kannte.

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