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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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es! Du findest das nicht soschlimm, aber für Mama ist das eine Katastrophe. Ich habe es satt, immer das Mädchen sein zu müssen, auf das sie stolz sein kann – gut in der Schule, gut im Sport und bei allen beliebt. Ich habe es satt, immer auf sie und ihren dämlichen Langweiler Giovanni hören zu müssen. Ich will meinen eigenen Weg finden und auch Fehler machen dürfen. Fehler, für die ich dann selbst geradestehen muss.«
    »Das klingt nach einem vernünftigen Plan. Das haben wir alle mal so gemacht. Auch deine Mutter.«
    »Und warum lässt sie mich dann nicht die gleichen Erfahrungen machen?«
    »Vielleicht, weil sie glaubt, dass sie für ihre Fehler zu teuer bezahlt hat, und dir das gleiche Leid ersparen will. Auch wenn sie sich da was vormacht, denn das ist unmöglich.«
    »Einer von ihren Fehlern bist du gewesen, nicht wahr?«
    Das hatte sie in einem Atemzug herausgepoltert, als wenn sie einen Stein geworfen und danach schnell die Hand hinterm Rücken versteckt hätte. Schon wurden ihre Augen wieder feucht, ihre Lippen zitterten, und ihr Gesicht verzog sich zu einer schmerzlichen Grimasse. Zehn Jahre, nicht mal ihr halbes Leben. Ein Windstoß rüttelte an den
bagolari
, den Zürgelbäumen, neben der Veranda. Zwischen dem Johannisbrotbaum und der Lentisken-Macchia, die die Dünen bedeckte, lugte ein Stück Meer hervor. Zahllose weiße Schaumkronen säumten die Wasseroberfläche. Kurzlebig. Unstet. Ständig wechselnd. Die leichten Schauder des Meeres unter den rauen Liebkosungen des Mistrals.Ich dachte daran, wie vergänglich auch wir waren, mit unseren unbeholfenen Gesprächen. Wie wir da auf der Veranda saßen und versuchten, einander wiederzufinden. Aber nun hieß es, nach vorne zu blicken und an die Zukunft zu denken. Erst jetzt merkte ich, wie schwierig mir das alles erschien: Vater zu sein für eine Tochter, die ich gar nicht kannte. Die fernab von mir zur Frau geworden war. Vielleicht hatte Clara recht. Aber vielleicht war an meiner Stimmung auch diese Frau schuld. Diese Französin. Die an die Zukunft nur als einen tiefen Abgrund der Existenz denken konnte, in dem die vom Leben verschlissenen Träume abgelegt werden  – mit dem einzigen Ziel, sie ebenso wie die Falten und die Schäden, welche die Zeit einem zugefügt hat, zu vergessen. Was sonst hätte sie wohl dazu gebracht, sich derart auf meine Tochter einzuschießen und sie mit Worten zu verletzen, die vor Neid auf ihre Frische und Jugend nur so trieften?
    »Hast du denn schon Pläne für die Zukunft? Was hast du vor, wenn du mit dem Gymnasium fertig bist?«
    Aglajas Gesicht entspannte sich ein wenig. Die Richtung, die das Gespräch nahm, schien ihr weniger anstrengend zu sein.
    »Ich weiß noch nicht. Ich würde mich gern am DAMS in Bologna einschreiben. Mich interessiert Theater oder Kino.«
    »Du willst also Schauspielerin werden?«
    »Vielleicht.«
    »Und Mama? Was sagt die dazu?«
    »Sie nimmt mich nicht ernst, so wie immer. Sie sagt,ich müsse erst mal Latein und Griechisch büffeln, und dann sähen wir weiter.«
    Dabei hob sie resigniert die Schultern, mit der fatalen Zielstrebigkeit, mit der Achtzehnjährige gewöhnlich das Gras um sich herum niedertrampeln, bevor es überhaupt wachsen kann. Interessiert sah sie sich um, bis ihr Blick schließlich an einem unbestimmten Punkt in der Landschaft hängen blieb, wo Licht und Wind mit ihren Farben, Geräuschen und ihrer Unrast das Geschehen beherrschten.
    »Die Gegend gefällt mir. Ah, übrigens, du hattest am Telefon doch was von einem Mädchen in meinem Alter gesagt.«
    »Ja, ich meinte die Tochter von Virgilio Loi, meinem Freund, dem das Haus hier gehört. Sie heißt Laura und ist ein Jahr jünger als du. Wenn du willst, fahren wir heute ins Dorf, dann kannst du sie treffen. Aber erst musst du Mama anrufen.«
    Auf Aglajas Gesicht zeigte sich Ärger. Sie zog die Augenbrauen hoch.
    »Ich denke gar nicht daran!«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Das sieht dann aber sehr nach Flucht aus, mein liebes Kind.«
    Noch eine Grimasse, dieses Mal voller Ironie.
    »Flucht? Wovor?«
    »Darüber sprechen wir später. Erst musst du deine Mutter anrufen und ihr sagen, was du vorhast.«
    »Ich habe vor, hierzubleiben und herauszukriegen, was für ein Typ mein Vater ist. Ist das für dich okay?«
    »Was soll das heißen?«
    »Bist du bereit, dich mit Mama anzulegen, damit ich bei dir bleiben kann?«
    »Ich lege mich seit Jahren mit deiner Mutter an, damit ich dich sehen kann.«
    Sie

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