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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Sie hatte recht, denn der Mistral stellte auch meine Nerven auf eine harte Probe. Draußen im Hof wirbelten die Böen ganze Wolken aus Staub und Erde auf, die in Richtung Meer davonzogen,und meine alte 200   PX war schon so verstaubt, dass der amaranthfarbene Lack kaum noch zu erkennen war. Und auch die Weinstöcke mit den noch grünen Trauben wurden gehörig durchgeschüttelt. Das Licht des Vormittags war grell; fast gewaltsam überflutete es die Landschaft und verwischte die Farben der Natur wie der Pinsel eines dem Wahn verfallenen Malers. Nur jemand wie Martine Ganci, ganz Opfer ihrer Besessenheit für den eigenen Körper, der perfekt gebräunt und knackig zu sein hatte, würde sich bei so einem Wetter am Strand vom windgepeitschten Sand ohrfeigen lassen.
    »Kann man hier heiß duschen?«, riss Aglaja mich aus meinen Gedanken.
    Ich zeigte ihr das Bad und ging in die Küche, um einen Topf mit Milch und den Espressokocher auf den Herd zu stellen und den Tisch für das Frühstück zu decken. Aus dem Bad hörte ich das Plätschern der Dusche und Aglajas Stimme, die fröhlich und unbeschwert vor sich hin pfiff. Es war eine Melodie, die ich gut kannte, trotzdem brauchte ich eine Weile, bis mir einfiel, was es war: Mozarts ›Allegro Vivace‹ aus dem Klavierkonzert Nr.   19, Köchelverzeichnis 459.   Clara hatte also nicht gelogen, meine Tochter liebte tatsächlich Mozart. Genau wie ihr Vater. Vielleicht, weil ich ihr seine Klavierkonzerte immer wieder vorgespielt hatte, als sie noch klein war, weshalb sie sich wohl in ihr emotionales Gedächtnis gebrannt hatten, jenen Ort, wo sie während all der Jahre ihre Liebe zu ihrem Vater aufbewahrt hatte.
    Ciao, Pa.
    Als Aglaja aus dem Bad kam, hatte sie meinen blauen Bademantel an, der ihr fast bis zu den Füßen reichte. Sie hatte ihn sich mit dem Frotteegürtel eng um die Taille gebunden und die Ärmel mehrfach umgeschlagen. Ihre Haare waren in ein Handtuch gewickelt, das sie wie einen Turban trug. Als sie die Milch und die Kekse sah, erklärte sie jedoch, dass sie lieber ein Bier hätte.
    »Willst du nicht wenigstens eine Tasse Kaffee?«, fragte ich.
    »Okay, Kaffee. Aber hast du kein Bier?«
    War nicht auch ein Bier da? Wahrscheinlich schon. Im Haus von Virgilio Loi waren immer Wein und Bier vorrätig. Schnell ging ich hinüber in seine Küche und fand im Kühlschrank einen ganzen Kasten Ichnusa.
    Aglaja war auf die Veranda hinausgegangen. Mit einem Frösteln hüllte sie sich fester in den feuchten Bademantel.
    »Weht hier immer so ein scheußlicher Wind?«
    »Sarrala zählt zu den vom Mistral am wenigsten betroffenen Orten in Sardinien. Hier bläst er meistens nur drei Tage lang.«
    »Und wann hat er angefangen?«
    »Gestern Nachmittag.«
    Sie zuckte resigniert die Achseln und folgte mir in meine Wohnung. Noch zwei Tage, ohne zu baden. Ich schenkte ihr einen Kaffee ein, machte ihre Bierflasche auf und fragte sie dann, ob sie sich nicht vorher noch anziehen wolle. Statt zu antworten, nahm sie das Handtuch vom Kopf, ließ die langen Haare herunterfallen und ging schweigend mit Tasse und Flasche aufdie Veranda hinaus. Auch ich goss mir einen Kaffee mit Milch ein und trat damit hinaus ins Freie.
    Aglaja saß in einem der Korbsessel, zu ihren Füßen der kleine Hund, und ich schob meinen Sessel ganz nah zu ihrem. Während ich in die dampfende Tasse pustete, saß meine Tochter gedankenversunken da und betrachtete die klare Linie des Horizonts. Vielleicht war jetzt der Moment gekommen, um mit ihr zu reden. Leicht würde es nicht sein, nach zehn Jahren. Eigentlich hatten wir auch später noch genug Zeit, allerdings spürte ich im Nacken förmlich das wütende Schnauben ihrer Mutter. Die Situation, in die mich meine Tochter da hineingezogen hatte, war ziemlich kompliziert.
    »Was ist eigentlich passiert, Aglaja?«
    Sie stellte die Tasse auf den Tisch. Dann nahm sie einen Schluck Bier.
    »Nichts. Was soll denn passiert sein?«, antwortete sie, ohne mich anzusehen.
    »Deine Mutter macht sich Sorgen. Stimmt irgendwas nicht?«
    »Ach, wenn es darum geht, da gibt es vieles, was nicht stimmt. Dieses Jahr habe ich in der Schule Griechisch und Latein versemmelt. Das ist mir vorher noch nie passiert.«
    »Das scheint mir aber nicht allzu dramatisch zu sein …«
    Als sie mir das Gesicht zudrehte, glänzten ihre großen braunen Augen feucht. Ich spürte, dass sie litt, wenn sie darüber sprechen sollte, aber ich würde ihr das Thema nicht ersparen können.
    »Siehst du, genau das ist

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