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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Gefühlsanalphabet wärst, hättest du dich nicht von Mama getrennt. Ihr hättet euch wunderbar verstanden: Weil sie nämlich auf jeden Fall eine Gefühlsanalphabetin ist.«
    Von dieser Warte aus hatte ich das Ganze noch nie betrachtet. Dabei passte die Bemerkung wirklich haargenau zu dem Bild, das ich von meiner Ex hatte: einer Frau, die trotz ihrer unbestreitbaren Intelligenz nie in der Lage war, ein Gefühl ernst zu nehmen, ohne es vorher auf den Prüfstand zu stellen. Clara hatte Gefühle nur dann anerkannt, wenn sie ihr gerechtfertigt erschienen. Emotionen, die durch ihr Bewertungsraster fielen, existierten für sie einfach nicht.
    »Bei dir kommt wirklich keiner ungeschoren davon.« »
    So bin ich erzogen worden. Für mich gibt es nur Schwarz oder Weiß.«
    »Deine Mutter wird dir früher oder später die Carabinieri auf den Hals hetzen, um dich gewaltsam nach Hause zu holen.«
    »Davor habe ich keine Angst.«
    Sie hatte das Bier ausgetrunken und stellte die Flasche auf den Tisch zurück. Dabei öffnete sich der Bademantel ein Stück und gab den Blick auf eine kleine Brust frei. Aglaja warf mir einen schiefen Blick zu, lächelte verschämt und bedeckte sich mit einer schnellenBewegung. Die Geste erfüllte mein Herz mit unglaublicher Zärtlichkeit, denn darin lag die ganze Distanz, die Vater und Tochter trennten. Vielleicht ist es ja doch nicht ausgeschlossen, dachte ich, dass wir wieder zueinanderfinden.
    Meine Tochter stand nun auf und fing an, in ihrem Rucksack herumzuwühlen. Da sie nicht sofort fand, was sie suchte, fluchte sie leise vor sich hin. Schließlich zog sie aus einer der Seitentaschen eine Packung Tabak und Blättchen und setzte sich damit wieder in den Sessel.
    »Jetzt würde ich gern ein bisschen schlafen«, sagte sie seufzend.
    »Dann geh ich mal dein Bett beziehen.«
    Im Haus ging ich in mein Schlafzimmer, nahm aus dem Schrank zwei saubere Laken und bezog damit eines  der Doppelstockbetten im Nebenzimmer. Die Wohnung war nicht sehr groß: Von einem langen, schmalen Korridor gingen drei Zimmer ab, eines mit einem Ehebett und zwei kleinere mit metallenen Doppelstockbetten. Am Ende des Flurs befanden sich Bad und Küche.
    Zurück auf der Veranda, stellte ich fest, dass sich meine Tochter inzwischen einen Joint gedreht hatte. Sie zündete ihn gerade an und nahm einige tiefe Züge. Ein schwacher Haschischgeruch breitete sich aus.
    »Was soll der Quatsch?«
    »Wie?« Irritiert sah Aglaja mich an. »Das machen doch alle.«
    »Weiß deine Mutter davon?«
    »Ja, sie tut aber so, als sähe sie es nicht.«
    »Und Giovanni? Sagt der nichts dazu?«
    »Was soll er denn sagen?«
    Stimmt, was sollte er ihr sagen?
    »Also gut, tu, was du nicht lassen kannst. Aber ich finde es nicht gut.«
    »Okay«, sagte sie, lehnte den Kopf zurück und sog genüsslich den Rauch ein.
    »Was heißt hier okay? Mach das Ding aus und geh schlafen.«
    »Hast du nicht gerade gesagt, ich soll tun, was ich nicht lassen kann?«
    »Ja, trotzdem wäre es mir lieber, wenn du dir in meinem Beisein keine Joints drehen würdest.«
    »Und wenn du nicht dabei bist?«
    Ich antwortete mit einer wütenden Geste, die man auch als Zeichen von Ungeduld hätte interpretieren können.
    »Pa, du bist doch nicht etwa einer dieser Heuchler, die gegen Homosexualität, Drogen und freien Sex vorgehen? Sag’s lieber gleich. Wenn du nämlich so drauf bist, dann fahre ich gleich wieder ab und gehe zurück zu Giovanni. Er ist zwar ein totales Weichei, aber wenigstens kein Spießer.«
    »Jetzt hör mir mal gut zu, mein Kind. Ich bin weder ein Heuchler noch ein Spießer. Ich habe sogar schon mal im Knast gesessen im Dienste der proletarischen Revolution. Aber ich habe die Schnauze voll von diesen Nichtsnutzen, die den ganzen Tag nur rumhängen und glauben, dass die Gesellschaft sie versorgen muss, ohne dass sie dafür was zurückgeben müssten. Da, wo du dich so rumtreibst, gibt’s für meinen Geschmack einbisschen zu viele Leute, die nichts lernen oder arbeiten und sich nur irgendwie durchschlagen.«
    »Was weißt du denn schon, wo ich mich rumtreibe!«
    »Deine Mutter hat es mir erzählt.«
    »Hättest du lieber so ein feines Töchterchen, das mit den Schnöseln aus Albaro ausgeht und Kokain schnupft? Oder wäre dir eine neurotische Streberin lieber, die in ihrer Freizeit eine Soap oder Reality Show nach der anderen glotzt und dabei Chips und Nutella in sich reinstopft? Solche gibt es nämlich auch massenweise in meiner Klasse.«
    »Gibt es in deiner

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