Der Tod Verhandelt Nicht
davon.«
»Und du weißt, wo er ist.«
»Ich habe ihn gesehen, als ich die Schafe gehütet habe.«
Ich kauerte mich auf die Schwelle des Schafstalls, während der Hund mir wedelnd zwischen den Beinen herumsprang. Der Junge lehnte im Rahmen der Türund schaute mich immer noch mit misstrauischem Gesichtsausdruck an.
»Auf dem Monte Ferru?«
»Nein, nein. Den habe ich nur deshalb in den Sand gemalt, weil ich ihn direkt vor mir hatte. Es war hinter Barisoni, in Porto Santoru.«
»Den Ort kenne ich, da war ich schon oft. Dort hütest du also Schafe?«
»Ja, unter anderem. Oben, über dem zementierten Platz, steht ein unbewohntes Haus. Dort habe ich ihn gesehen.«
»Wann?«
»Ein paar Mal schon. Und gestern Abend auch wieder.«
Ich stand auf. »Danke, mein Junge. Kann ich mich irgendwie bei dir revanchieren?«
Zum ersten Mal entspannten sich seine Lippen und deuteten ein Lächeln an.
»Geben Sie einfach weiterhin meinem Hund zu fressen.«
»Willst du mir nicht doch sagen, wie ihr heißt, dein Hund und du?«
»Hunde haben keine Namen. Ich bin Pietrangelo.«
»Und weiter?«
»Pietrangelo.«
Während ich mich verabschiedete, sah der kleine Hund zu Pietrangelo hoch, er wartete wohl auf ein Zeichen. Kaum nickte der Junge ihm zu, sprang er auch schon hinter mir her.
Ich ging den gleichen Weg zurück, den ich gekommen war, doch legte ich jetzt einen Schritt zu. VorVirgilios Haus forderte ich den Hund auf, mir nach drinnen zu folgen. Er gehorchte mit leichtem Zögern. Bis dahin hatte er die Schwelle zur Küche nie übertreten, aber seine Unsicherheit war dahin, als er sah, dass ich ihm ein großzügiges Stück Pecorino anbot. Er sprang auf mich zu und bediente sich direkt aus meinen Händen.
In meinem Schlafzimmer durchwühlte ich schnell meine Tasche nach der Beretta Cougar, nahm das leere Magazin heraus und bestückte es mit dreizehn Kugeln. Danach holte ich noch meinen Helm aus dem Schrank und machte mich wieder auf den Weg.
Im Vorbeigehen öffnete ich leise Aglajas Schlafzimmertür, um sie verzückt zu betrachten, wie sie in die Betttücher gewickelt dalag wie in einem Schlafsack. Als ich den Hund zu mir rief, gehorchte er sofort und rollte sich im Korridor vor der Schlafzimmertür meiner Tochter zusammen.
Draußen schloss ich die Glastür mit den Metallstreben, ließ aber den Schlüssel im Schloss stecken, sodass jeder, der wollte, hineingehen konnte. Das war in Sarrala immer schon so gewesen – hier hatte noch nie jemand irgendwelche Türen abgeschlossen. Außerdem hatte meine Tochter einen persönlichen Bewacher, etwas schmächtig zwar, dafür aber mit ganz schön starkem Charakter.
Ich ging zur Vespa, die ich unter den Zürgelbäumen seitlich der Veranda abgestellt hatte. Der Mistral hatte auf der Karosserie eine feine Schicht Staub verteilt, die dem hellen Lack einen nicht definierbaren ockergrauen Ton verlieh. Nachdem ich die Beretta unterdem Sitz verstaut hatte, ließ ich den Motor an und fuhr los.
Ich nahm die Straße in Richtung Tertenia. Auf der Höhe der Lagerhalle, wo im Juli und August der Andenkenladen öffnete, bog ich auf die Brücke ab, die über das trockene Flussbett auf eine kaum befahrene Seitenstraße führte. Bis vor wenigen Jahren war sie noch unbefestigt gewesen, inzwischen war sie jedoch asphaltiert. Ich bog in die Straße nach Barisoni ein, wo sich früher einmal das »Paradise« befunden hatte, ein ewig überfüllter Tanzclub, der vor einigen Jahren zugemacht hatte. Er hatte sich im Innenhof eines ehemaligen Schafstalls befunden, wo der Betreiber zwischen den Olivenbäumen Tische und Stühle aufgestellt hatte. Die DJs brachten dem Publikum genauso unbefangen Diskomusik wie sardische Folkloretänze zu Gehör und betäubten damit sowohl die Touristen vom Festland als auch die Einheimischen aus Tertenia und den umliegenden Dörfern. Vor dem geschlossenen Tanzlokal hatte man irgendwann eine hässliche Gokart-Bahn gebaut und nicht weit davon entfernt ein kleines Hotel mit Bar und Restaurant. Wenig später passierte ich das »Arcade«, das alte Café von Melisenda, wo sich die Hirten trafen. Während der kurzen Badesaison in Sarrala, die von Mitte Juli bis Mariä Himmelfahrt dauerte, konnte man dort viele reiche Mailänder treffen, die in den umliegenden Luxusvillen logierten.
Das waren im Grunde aber auch schon alle Veränderungen, ansonsten war alles so wie vor zwanzig Jahren. Einschneidend war nur der Bau der Marinebasis gewesen, zu der eine eigens geteerte Straße führte.
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