Der Tod Verhandelt Nicht
versank das Land in einem Strudel aus Wind und Finsternis. Die Weinberge, die Eukalyptusbäume, die Weiden waren nur zu erahnen, ebenso wie das Weiß der Kalkfelsen. Ich dachte an Aglaja, die ich in diesem Moment gern bei mir gehabt hätte. Clara hatte wohl recht. Mein schmutziger Job war nicht dafür geeignet, eine Tochter großzuziehen. Aber vielleicht war es gar nicht der Job, sondern ich selbst, der nicht auf das Hasardspiel verzichten konnte und der, egal in welchem Beruf, die Menschen in seinem Umfeld am ausgestreckten Arm hätte verhungern lassen. Unfähig, wie ich war, Sicherheiten für mich selbst zu schaffen. Wie hätte ich da einer Tochter und einer Frau etwas bieten können, das auch nur im Entferntesten einer Familie ähnelte?
Mit schnellen Schritten kehrten wir wortlos ins Restaurant zurück, wo Angelica auf uns wartete. Unterdessen füllte sich der Nachthimmel über Tertenia mit Sternen.
Der große Ganci
Noch eine Nacht mit dem Mistral. Es schläft sich nicht gut, wenn der Wind die Bäume und die Gedanken beutelt, Ängste und Sorgen aufkommen lässt und den Kopf mit schlechten Vorahnungen füllt. Aglaja war noch nicht zu Hause – und die sardischen Jugendlichen fuhren wie die Wahnsinnigen. In diesem Moment saß meine Tochter sicher in einem dieser Autos, und ihr Wohl und Wehe lag in den Händen irgendeines ritterlichen Ziegenhirten aus Tertenia.
Ich hatte das Licht auf der Veranda und die Nachttischlampe angelassen und sah alle fünf Minuten auf die Uhr. An Schlaf war nicht zu denken. Endlich, kurz vor ein Uhr, hörte ich, wie sich ein Wagen näherte. Er hielt mit laufendem Motor vor dem Haus, die nächtliche Luft trug ein paar eilige Abschiedsworte zu mir herauf, eine Autotür schlug zu, dann ein Lachen, hell wie das Läuten einer Glocke. Aglaja. Kurz darauf fuhr der Wagen mit quietschenden Reifen davon. Offensichtlich war dem Jungen daran gelegen, meiner Tochter vorzuführen, was für ein Draufgänger er war. Ich hörte ihre leichten Schritte auf dem Kies im Hof, dann wurde die Haustür geöffnet, Aglaja schaltete das Licht im Flur ein, ich sah sie vorbeihuschen, Klospülung, Wassergeplätscher, kurz darauf kam sie wieder aus dem Bad und ging in ihr Zimmer.
Da sie das Flurlicht angelassen hatte, stieg ich aus dem Bett, löschte es, zog mir schnell ein T-Shirt über, da mir ein Kälteschauer über den Rücken lief, und legtemich wieder hin. Auf meinem Nachtschränkchen lag ›Der große Gatsby‹. Ich war versucht, ein paar Seiten zu lesen – vielleicht konnte ich dann besser einschlafen. Es ging darin um eine außerordentliche Persönlichkeit. Reich. In aller Munde. Beneidet. Und einsam. Also, warum dann nicht auch ›Der große Ganci‹?
Schließlich schaltete ich dann doch das Licht aus, und mich überfiel die Erinnerung an Aristarcos Worte:
Arbeiten Sie für Ganci?
Glaubte das hier im Dorf wirklich jemand? Dass Ganci und Sanna unter einer Decke steckten und ich nach Tertenia gekommen war, um irgendeinen ruchlosen Pakt zwischen den beiden zu besiegeln? Und wer um alles in der Welt war dieser Aristarco wirklich? Ich würde Virgilio bitten müssen, mehr über ihn herauszufinden, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Das war mein letzter Gedanke, bevor ich endlich zur Ruhe kam. Aglaja war zurück, sie war zu Hause, in Sicherheit. Von einem Moment auf den anderen fiel ich in tiefen Schlaf, der von einem sich aus der Dunkelheit herausschälenden Traum gefärbt war. Virgilio kam darin vor, der mich nur scheinheilig angrinste, aber nicht sprach, und eine Gefängniswärteruniform anhatte, wie damals in Novara, wenn er mir mein Essen brachte. Die Zelle ähnelte ebenfalls der von damals: zwei mal zwei Meter, weiß getüncht und fast leer – nur ein Tisch, ein Stuhl und die Pritsche. Aber Virgilio sah nicht aus wie früher, sondern wie jetzt: ziemlich dick, die Haare und der Bart weiß geworden, und der Pferdeschwanz fiel ihm auf den bulligen, dicken Nacken. Von draußen drang Gezeter zu mir, Lachen undsogar Musik, die Fetzen eines Liedes …
Via, via, vieni via di qui, niente più ti lega a questi luoghi, neanche questi fiori azzurri … Via, via, neanche questo tempo grigio …
Ich erkannte die Stimme von Clara, die mich beschimpfte … Das Lachen kam von der Französin, ein verwirrendes, hysterisches Gekicher, das vor Hohn und schneidender Bosheit nur so triefte … Der da sang, war der Anwalt aus Asti höchstpersönlich: Paolo Conte. Ich verspürte fast so etwas wie
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