Der Tod Verhandelt Nicht
was für eine hässliche Geschichte er mir da eingebrockt hatte. Ich fragte mich, ob sein Herrchen sich wohl darüber im Klaren war, was mich erwartet hatte. Immerhin hätten sie mich bei der Verfolgung auch töten können. Ich fragte mich auch, wie viele solcher Komparsen noch in diesem hässlichen Theaterstück auftreten würden. Und alle diese Fragen nährten sich letztlich von einem einzigen Verdacht: dass auch ich nur eine Marionette war, die sich blindlings bewegte und an Fäden hing, die irgendjemand im Verborgenen bewegte.
Ich ging in die Küche und nahm das feuchte Tuch vom Pecorino, mit dem ich den Laib vor der Trockenheit des Mistrals schützte. Als ich ein Stück abschnitt, breitete sich ein intensiver Geruch nach Schafstall in der Küche aus. Die Luft war erfüllt davon. Von Käse. Von Schaf. Von Licht und Wind.
Der Hund war mir in die Küche gefolgt und stürzte sich jetzt auf den Pecorino, den er wie immer in einemBissen hinunterschlang. Dann machte er sich schnüffelnd auf die Suche nach seiner Spielkameradin, die noch immer in meinem Zimmer schlief. Ich schnitt zwei Scheiben Brot und zwei Stücke Käse ab und legte sie auf einen Teller.
Virgilio begrüßte mein Angebot mit dem üblichen Enthusiasmus, denn ihm war jeder Anlass recht, seinen Gaumen auf die Probe zu stellen. Er ging eine Flasche Rotwein und zwei Gläser holen, danach begannen wir schweigend zu essen wie zwei Ordensbrüder, bis auf einmal mein Handy klingelte und ich auffuhr und in mein Schlafzimmer rannte.
Das Höllengerät lag auf dem Nachtschränkchen, wo es vibrierte, klingelte und ominöse Lichtsignale sendete. Ich packte es und verschwand, so schnell ich konnte, um Aglaja nicht zu wecken. Der Hund hatte sich neben ihr auf dem Boden zusammengerollt. Auf dem erleuchteten Display stand Aglajas Name, und das bedeutete nichts Gutes. Daher ging ich erst ran, als ich schon wieder draußen auf der Veranda war.
»Ja, hallo?«
»Bacci? Hier ist Giovanni. Ist Aglaja schon auf dem Weg nach Hause?!«
»Sie schläft noch. Sie war gestern Abend mit einer Freundin weg und ist spät heimgekommen.«
Im Hintergrund spürte ich bedrohliches Schweigen, erfüllt von Drohgebärden, bösen Blicken und Lippenbewegungen, die Anweisungen erteilten und nahendes Unglück orakelten. Aber vielleicht war das auch nur Einbildung.
»Wann hast du vor, sie nach Hause zu schicken?«
»Sie kommt zurück, wann sie es will.«
Er brabbelte etwas Unverständliches, doch ich vernahm auch den Atemhauch, der ganz sicher nicht von dem armen Giovanni kam.
»Hör zu, Bacci, wir machen uns Sorgen um unsere Tochter.«
Unsere
Tochter? Wessen Tochter war denn Aglaja?
»
Eure
Tochter ist mit ihrem Vater in den Ferien«, erwiderte ich. »Ihr habt keinen Grund, euch Sorgen zu machen.«
»Aber wir machen uns Sorgen. Wegen ihres kleinen Problems …«
»Welches
kleine Problem
?«
»Clara hat es dir nie gesagt, aber Aglaja leidet, seitdem du weg bist, an einer psychischen Störung …«
»Na, wunderbar. Meine Tochter hat ein Problem und ich als ihr Vater erfahre es nicht. Worum geht’s?«
»Nichts Schlimmes, die Ärzte haben gesagt, es bestehe kein Grund zur Sorge. Wenn sie ausgewachsen ist, müsste sich das legen.« Er zögerte kurz. »Aglaja ist Schlafwandlerin, und man muss aufpassen, dass ihr nichts passiert.«
Unbewusst musste ich grinsen. »Solange sie ins Bett ihres Vaters kommt, besteht keine Gefahr. Diese Nacht war es zum Beispiel so. Sie hat sich an mich geschmiegt und geschlafen wie ein Engel.«
»Siehst du, genau das ist das Problem.«
»Drück dich gefälligst ein bisschen genauer aus. Was ist da problematisch? Dass sie sich an mich gekuschelt hat oder dass sie geschlafen hat wie ein Engel?«
»Also … es ist so, dass … dass sie das auch bei mirmacht«, stammelte er und stockte kurz, bevor es aus ihm herausbrach: »Aglaja ist kein Kind mehr.«
»Stimmt. Und weiter?«
»Auch wenn du ihr Vater bist … ihr habt euch schließlich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen … Du bist für sie fast ein Fremder.«
In diesem Moment fühlte ich, wie blinde Wut in mir hochstieg. Ich wusste genau, dass es gleich vorbei sein würde mit meiner Kontrolle, ich kannte mich gut genug, um zu wissen, wie ich in solchen Momenten reagierte. Bei dem guten Giovanni war mir das bisher noch nie passiert. Vielleicht aus männlicher Solidarität mit meinem Geschlechtsgenossen, der den Mut aufbrachte, sein Leben an der Seite einer Generalin der berüchtigten
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