Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
stockend hervor. Gerd nickte nur. »Die Bullen werden sich nicht viel Mühe geben«, knurrte er und merkte, dass ihm das Wort »Bullen« auch nach drei Jahren auf der Straße noch schwer über die Lippen ging.
»Rolf hat uns von dem Job erzählt, er hat ihn im Internet gefunden. Die Beschreibung der gesuchten Typen passte genau auf ihn«, einer der Männer lachte vorsichtig, »und ein bisschen auch auf uns.«
Der dickste der drei Männer starrte nachdenklich vor sich hin. »Ich habe Rolf zum letzten Mal am Sonntag gesehen. Jetzt ärgere ich mich, dass ich ihm meine Zeitung nicht gegeben habe. Ich hatte eine alte Zeitung gefunden und habe das Kreuzworträtsel gelöst. Auf einmal ist Rolf gekommen und wollte sie mir wegnehmen. Er hat etwas gefaselt von Tod, Vater, Anzeige. Er hat keine Ruhe gelassen, bis ich das Kreuzworträtsel fertig hatte und ihm den Teil gegeben habe. Dabei waren auf der Rückseite nur Todesanzeigen. Wer interessiert sich denn für so etwas.«
»Weißt du noch, von wann die Zeitung war?« Gerd spürte mehr, als dass er es wusste, dass der Mann etwas Wichtiges gesagt hatte.
»Keine Ahnung!«, brummte der Dicke. »Oder doch. Auf der ersten Seite war ein großer Bericht über das Erdbeben in Haiti.«
Gerd konnte sich nicht erinnern, wann das Erdbeben gewesen war. Seit er auf der Straße lebte, hatte er jedes Verhältnis zur Zeit verloren. Doch in der Redaktion der Zeitung würde man das wissen. Er verabschiedete sich von den drei Männern und ging die Einkaufsstraße hinunter, um nicht an der Bank vorbeizukommen, wo vermutlich noch immer Polizisten tätig waren.
Zögernd betrat Gerd die Geschäftsstelle der Rundschau. Er sah an sich herunter und war froh, dass er einen Großteil der Sozialhilfe für ordentliche Kleidung ausgab.
»Ich brauche die Zeitung, in der über das Erdbeben in Haiti berichtet wurde«, teilte er der Frau mit, die ihn nach seinen Wünschen gefragt hatte. Sie sprang auf und rief: »Einen Moment!« Wenig später kam sie mit einem Stapel Zeitungen zurück. »Sie haben Glück, wir haben sie gerade erst ins Altpapier getan«, erklärte sie.
Gerd seufzte beim Anblick des Stapels. Zum Glück sollte der Bericht über das Erdbeben auf der ersten Seite stehen. Er legte eine Zeitung nach der anderen beiseite. Auf der Titelseite der vorletzten Zeitung prangte ihm die Schlagzeile »Erdbeben in Haiti« entgegen. Er klappte die Zeitung auf und drehte sie um. Todesanzeigen befanden sich immer im hinteren Teil der Zeitung, das wusste er aus seinem früheren Leben als Morgenzeitungsleser. Er überflog die Todesanzeigen. Sein Blick blieb an einer Anzeige hängen. »Anton Bayer« las er. Als trauernde Angehörige stand dort nur Wilfried Bayer. Weder Rolf noch seine Frau oder Tochter fanden eine Erwähnung.
»Darf ich die Zeitung mitnehmen?«, erkundigte sich Gerd bei der Frau, die ihm den Stapel gebracht hatte. »Klar doch«, sagte sie lachend. »Da haben wir weniger Altpapier!«
Gerd nahm die Zeitung an sich und verließ den Laden. Mit schweren Schritten und noch schwereren Gedanken ging er in Richtung Polizeipräsidium.
Der Widerwillen gegen die Polizei kämpfte in ihm gegen das angenehme Gefühl, wieder einmal ein kriminalistisches Puzzle gelöst zu haben. Er wusste, dass der Bruder des Toten den Mord begangen hatte. Das Motiv war klar, das Erbe des wohlhabenden Vaters. Angela hatte auch ihrem Onkel davon erzählt, dass ihr Vater Jobs in einer Tagesjobbörse suchte. Als Inspizient konnte Wilfried Bayer über die Einstellung von Komparsen bestimmen. Noch gab es offene Fragen, aber Gerd war sich sicher, dass sich diese noch im Laufe des Tages klären würden.
Er hatte seine ehemalige Arbeitsstelle erreicht. »Mensch, Gerd!«, rief der Pförtner, als er ihn vorbeiließ. Dieses Mal klang das »Mensch« deutlich erfreut. Gerd nickte dem ehemaligen Kollegen lächelnd zu. Er stieg die Treppen zu seinem alten Büro hinauf. Wie in alten Zeiten rief er schon beim Öffnen der Tür: »Ich habe Motiv und Täter!«
Marlene Bach Verstrickt
Das Segelboot schwankte hin und her, tanzte auf den Wellen wie eine Walnussschale. Wütend zerrte der Wind an den flatternden Segeln. Sie klammerte sich an die Reling, stand da, wie gelähmt, und konnte nichts anderes tun, als in das aufgewühlte Meer zu starren.
Die Wellen brachen sich am Bug, Gischt spritzte empor. Sie spürte, dass sich etwas an die Oberfläche kämpfte. Mit aller Macht, als wolle das aufgebrachte Meer es nach oben würgen und ausspucken, um
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