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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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sich endlich davon zu befreien.
    Es schoss aus der Tiefe empor, fiel zurück ins Meer, wurde von den Wellen wieder in die Höhe gehoben. Länglich, hell, wie eine große Spindel. Der Wind trieb es auf ihr Boot zu. Sie beugte sich nach vorn, reckte sich weit über die Reling und streckte die Hand danach aus.
    Ein Netz, raue Stränge aus Hanf, um einen Gegenstand gewunden, so dicht, dass sie nicht erkennen konnte, was es war. Sie zerrte das Bündel auf das Boot, getrieben von einer Kraft, als hinge ihr Leben daran. Mit klammen Fingern entwirrte sie es, bis es freigab, was es in der Tiefe des Meeres verborgen hatte: einen kleinen starren Körper, die Haut wächsern bleich. Die Augen weit aufgerissen, die Lippen blau.
    Sie konnte nicht mehr atmen, bekam keine Luft mehr. Und doch schrie sie, so laut, dass das tosende Meer verstummte, schrie ihn wieder und wieder. Den Namen ihrer toten Tochter.

    »Wach auf!« Wie durch eine Nebelwand drang seine Stimme zu ihr. »Anna! Wach auf!«
    Sie spürte seine Hand auf ihrem Arm.
    »Wieder schlecht geträumt?«
    Sie antwortete nicht. Lag schweigend da und wartete darauf, dass das Meer wieder aus ihrem Kopf verschwand.
    Es war immer der gleiche Traum, der sie quälte. Und wenn sie aufwachte, war jedes Mal für den Bruchteil einer Sekunde die Hoffnung lebendig, Marie wäre noch bei ihnen, liege oben in ihrem Bett und schliefe. Eine Hoffung, die im gleichen Moment an der Wahrheit zerschellte wie ein Boot an der Klippe.
    »Vielleicht solltest du doch wieder zu diesem Psychiater gehen«, hörte sie Robert leise in die Dunkelheit hinein sagen. »Probier es wenigstens.«
    Sie war ein paarmal dort gewesen und hatte sich diesem fremden Menschen anvertraut in der irrwitzigen Hoffnung, er könnte ihr helfen. Er hatte von Symbolen geredet. Von Verstrickungen und Schuldgefühlen.
    Sie würde nirgendwo mehr hingehen. Sie brauchte niemanden, der ihr etwas von Schuld erzählte.

    Der Untergang hatte begonnen, als sie bemerkte, dass Robert sie belog. Immer später war er von der Arbeit nach Hause gekommen. Dann schlief er nicht mehr mit ihr. Wenn er abends angeblich mit einem Freund unterwegs war und sie ihn anrief, ging er nicht ans Handy. Wenn er nach Hause kam und sie ihn fragte, wo er gewesen war, erzählte er ihr jedes Mal etwas anderes, das sie glauben sollte.
    Er roch nicht nach fremdem Parfüm und hatte auch keinen Lippenstift am Kragen, aber sie wusste es auch so: Er betrog sie.
    Auf dem Straßenfest im Sommer sah sie, wie er mit der jungen Frau sprach, die seit einigen Monaten in der Nachbarschaft wohnte. Sie trug ein Kleid, das auf ihrem schlanken Körper klebte wie eine zweite Haut. Er lachte mit ihr, sie berührte seinen Arm. Eine scheinbar zufällige Geste. Aber Anna kannte das Spiel.
    Zu Hause hatte sie ihn zur Rede gestellt. Er hatte alles abgestritten. Sie schrien sich an. Marie wachte auf und stand weinend oben an der Treppe, den Teddy ängstlich an sich gedrückt.
    Sie wusste, dass er sie nicht verlassen würde. Robert legte viel Wert auf Fassade. Und bei einer Scheidung würde er mit ihr teilen müssen, aber er gab nicht gern etwas ab. Robert liebte seine Annehmlichkeiten, sein Segelboot, sein teures Auto, das große Haus mit dem Swimmingpool im Garten. Und vor allem liebte er seine Tochter. Wenn es für Marie besser war, dann würde er auch noch zwanzig Jahre mit einer Frau zusammenleben, die ihm nichts mehr bedeutete.
    »Wenn du mich betrügst, sorge ich dafür, dass du Marie nicht mehr zu sehen bekommst«, hatte sie in ihrer Wut gesagt.
    »Was redest du da für einen Unsinn«, hatte er geantwortet, aber die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    Robert hatte geschworen, dass es keine andere gab. So überzeugend, dass sie ihm einen ganzen Tag lang geglaubt hatte. Bis zum Samstag, als der Anruf kam.

    Er müsse noch einmal weg. Das sei Jan gewesen. Er habe ein Problem mit dem Computer. Sie hörte es an seiner Stimme. Sie war anders als sonst. Es war die Stimme eines Lügners.
    Sie bat ihn zu bleiben, flehte, bettelte. Er schrie sie an, sie sei hysterisch. Was denn aus ihnen werden solle, wenn er nicht einmal mehr seinen Freund besuchen könnte. Dass er sie nicht mehr ertrage, mit dem all dem Schwachsinn, den sie sich ständig einbilde.
    Als er fort war, ging sie hoch in Maries Zimmer. Die Kleine schlief, den Teddy neben sich auf dem Kopfkissen. Marie schlief immer nach dem Mittagessen, so tief und fest, dass man sie wecken musste.
    Es war wie ein Drang, den sie nicht

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