Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
rechten Auge, Bob.«
»Wirklich?« Er wischte sich mit seinem Zitronensaftfinger ungelenk durch das Auge. »Ich merk nichts.«
»Du solltest sie besser rausholen«, riet sie ihm eindringlich. Er machte noch immer keine Anstalten, sich vom Tisch zu erheben, deshalb fügte sie in besorgtem Tonfall hinzu: »Bei einem Freund von mir hat sich so etwas mal ganz übel entzündet.« Pause. »Er lief wochenlang mit einem Matschauge herum und sah wirklich schrecklich aus.« Das saß. Die Eitelkeit der Männer anpeilen, das funktionierte immer. Bob sprang auf, entschuldigte sich kurz und bahnte sich einen Weg durch die japanische Reisegruppe. Als er am anderen Ende des Biergartens hinter der Toilettentür verschwand, stieß Annelore einen Seufzer der Erleichterung aus. Das Date war beendet. Sie könnte jetzt einfach aufstehen und nach Hause gehen. Aber das wäre feige. Und respektlos seiner Ehefrau gegenüber. Annelore war es der ahnungslosen Frau schuldig. So wie sie es allen elf Ehefrauen schuldig gewesen war, deren Männer auf dem Internetmarkt heimlich Orangenhäute gegen zarte Pfirsiche eintauschen wollten. Sie hatte diesen Frauen die Scham und die Schande, die ihr selbst widerfahren waren, ersparen können. Auch Roberts Witwe würde nun mit Anstand und in Würde altern können.
Annelore öffnete das kleine Fläschchen, das sie bei sich trug, und gab ein paar wohl dosierte Tropfen der farblosen Flüssigkeit in sein Weizenbier. Lange genug hatte sie mit Tensiden, Basen und Säuren experimentiert, um zu wissen, wie essentiell die optimale Dosierung für das gewünschte Resultat war.
Birgit Ebbert Job ohne Aussicht
Gerd wurde wach, weil er ein Schluchzen hörte. Automatisch griff er neben sich, um seine Frau zu trösten. Erst als seine Hand auf den morgenfeuchten Asphalt schlug, erinnerte er sich an das ganze Elend seines Lebens. Schon seit drei Jahren wachte er nicht mehr neben seiner Frau auf. Seit ein betrunkener LKW -Fahrer ihr Leben ausgelöscht und sein Leben zerstört hatte. Das Schluchzen riss Gerd aus seinen trüben Gedanken. Er zwang sich, seine Augen zu öffnen und sich in seinem Armeeschlafsack, der ihn nachts vor Kälte und Nässe schützte, umzudrehen.
Auf der Bank, die gegenüber von seinem Schlafplatz stand, saß ein Mädchen. Er hatte sie schon öfter frühmorgens gesehen, wenn er seinen Schlafsack eingepackt hatte. Sie hatte den Mann besucht, der sich die harte, schmale Bank als Schlafplatz ausgewählt hatte. Vielleicht hatte er auch nichts anderes gefunden. In Zukunft würde er wohl auch keinen anderen Schlafplatz benötigen, das sah Gerd gleich, nachdem er seine verbeulte Brille aufgesetzt hatte.
Die Jacke des Mädchens war voller Blut. Obwohl Gerd in seinem früheren Leben als Kriminalbeamter in einer Mordkommission schon viel Blut gesehen hatte, zog sich ein Schauer über seinen Rücken. Das Mädchen starrte auf ihren Schoß, in dem der blutige Kopf des Mannes lag, mit dem ihn nur die Zweckgemeinschaft der Straße verband. Doch die verband mehr als manche Freundschaft, das hatte Gerd schmerzlich erlebt, als ihn seine Kollegen und Freunde bei der Suche nach dem Mörder seiner Frau und seiner Tochter im Stich gelassen hatten.
Seine Tochter wäre heute etwa so alt wie das Mädchen, das dort blutüberströmt und weinend saß. Gerd gelang es einfach nicht, sich wortlos davonzumachen.
»Was ist los?«, knurrte er, um dem Mädchen von vorneherein zu zeigen, dass er keine Nähe suchte.
»Papa!«, stieß das Mädchen hervor und die Tränen rollten über ihr rundes Gesicht und tropften auf die hellgrüne Jacke.
»Was ist mit deinem Vater?« Gerd merkte selbst, dass diese Frage unsinnig war. Jeder konnte sehen, dass der Mann in dem Schlafsack tot war. Er war bis zum Kopf in dem Schlafsack verschwunden und der Kopf hing lose, als wäre der Mann eine Puppe, deren Kopf noch nicht richtig angenäht war.
Gerd schüttelte sich. Um die Todesursache zu bestimmen, mussten seine ehemaligen Kollegen nicht einmal einen Pathologen kommen lassen. In der Haut am Hals klaffte ein riesiger Schnitt, aus dem noch immer Blut quoll. Der Mann, an dessen Namen Gerd sich verzweifelt zu erinnern versuchte, war noch nicht lange tot.
»Hast du ein Handy?«, fragte Gerd das Mädchen. Er wusste, Beschäftigung war die beste Therapie gegen den Schock.
Das Mädchen nickte. Sie zeigte auf den Rucksack mit dem Pferdemotiv, der neben ihren Beinen stand. Anscheinend war sie jünger, als er gedacht hatte. Teenager trugen coolere
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