Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Fenster. »Ja, natürlich.« »Gut. Und weil Du so brav bist, werden wir heute Abend richtig schön schmusen, ja?« Seine Hand wandert nach innen oben. Ich versuche, die Beine nicht zusammenzukneifen, bücke mich stattdessen nach meiner Handtasche, stelle sie mir auf den Schoß und fange an, darin zu kramen. Seine Hand, die bei diesem Manöver nach unten gestürzt ist, fängt sich wieder, verhakt sich an meinem Knie, beißt zu, gerade so fest, dass man nichts sehen wird, gerade so fest, dass es wehtut.
Als wir ankommen, sind schon alle da. Er liebt es, zu spät zu kommen, weil er weiß, wie unangenehm mir das ist. Sofort, nachdem wir den Raum betreten haben, wird er in Beschlag genommen. Von seinen Kumpeln, von Funktionären, von schönen Frauen. Ich dagegen werde wie üblich kurz gemustert, noch kürzer gegrüßt und anschließend ignoriert.
Während er von seinen Bewunderern umringt ist, schaue ich mich hilflos um. Wie einsam man in einem Raum voller Menschen sein kann. Unbeholfen drehe ich mein Sektglas zwischen den Fingern hin und her, immer und immer wieder, bis es ganz trüb ist. Schließlich trete ich ans Fenster und tue so, als würde ich das Geschehen auf der Straße beobachten. Stattdessen betrachte ich mein Spiegelbild. Es gefällt mir nicht. Früher war ich eine fröhliche, lebenslustige, kleine Person. Heute bin ich nur noch klein.
Es war so leicht gewesen, sich in seinem Netz zu verfangen. Als ich ihn traf, war ich einsam und traurig, weil meine Oma, die alles war, was ich in dieser Stadt hatte, nun in einem Pflegeheim vor sich hinvegetieren musste. Einem Heim, in dem es nach Pisse und Mittagessen roch, egal, wann ich sie besuchte. Ich konnte mir nichts Besseres leisten. Und dann kam dieser schöne Mann daher und begann, mir den Hof zu machen. Ich verstand es nicht, niemand verstand es. Doch die Monate vergingen, und er blieb aufmerksam, kümmerte sich rührend um mich und schien keine andere Frau wahrzunehmen. Und er ließ es sich nicht nehmen, meine Oma in einem teuren Seniorenstift unterzubringen. Wir heirateten und ich war glücklich. Eine Weile.
Irgendwann, ganz langsam, begann mir seine ständige Nähe zu viel zu werden, fühlte ich mich eingeengt, überwacht. Doch da konnte ich nicht mehr zurück, selbst dann nicht, als er immer besitzergreifender und zunehmend grausamer wurde. Denn immer, wenn ich meine Oma besuchte, wenn ich mit ihr in dem hübschen Garten saß, den sie von ihrem Zimmer aus sehen konnte, wenn wir in der gemütlichen Cafeteria bei Kaffee und Kuchen zusammensaßen und sie mich mit ihren hellen Altfrauenaugen dankbar ansah, mir vertrauensvoll zulächelte, sagte ich mir, dass es das wert sei.
Dann, vor einigen Wochen starb sie und in meine Trauer mischte sich verschämte Hoffnung. Endlich würde ich gehen können. Doch dann – bei einem der von mir so verhassten Clubfeiern – spielte er seinen neuen Trumpf aus. Vor versammelter Mannschaft verkündete er, dass wir nun eine Familie gründen würden. Mir wurde eiskalt. Ein Kind würde mich für immer an ihn binden! Während alle so taten, als seien sie erfreut, lächelte er mich liebevoll an. Ich lächelte zurück und beschloss, ihn zu töten.
Ich bin weder kreativ noch kann ich Blut sehen. Also entschied ich mich für Gift. Dann sah ich im Fernsehen einen Bericht über Bärlauch und seine giftigen Schwestern und mein Mordwerkzeug war gefunden. So eine hübsche Pflanze, die Herbstzeitlose. Ein bisschen wie er. Außen schön und innen tödlich. Ich fand das passend.
Die Zeit drängte, denn ich musste verhindern, schwanger zu werden. Als er letztes Wochenende auf einem Lehrgang war, stolperte ich im Morgengrauen durch den Wald, um mich ebenfalls fortzubilden. Der junge Biologiestudent erklärte uns gewissenhaft die Unterschiede zwischen gesundem Bärlauch und den weniger gesunden Maiglöckchen sowie den tödlichen Herbstzeitlosen. Einige Teilnehmerinnen stellten so viele Fragen, dass mir der Gedanke kam, ich sei vielleicht nicht die Einzige, die den Bärlauch ganz unbedingt mit der Herbstzeitlosen zu verwechseln wünschte.
Lautes Gelächter schreckt mich aus meinen Gedanken. Er scheint sich zu amüsieren. Alle amüsieren sich. Jetzt wäre es an der Zeit, meinen Plan umzusetzen, doch ich kann es nicht. Ich werde jetzt einfach etwas essen, mir das Spiel ansehen und mit ihm nach Hause fahren. Niemand braucht von dem Gift in meiner Handtasche zu erfahren. Ich mache einfach weiter wie bisher. Es wird schon gehen.
Am Buffet im
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