Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
durch kleine Aufmerksamkeiten an dich zu binden. Bei anderen dagegen schienst du bereits zum Schuss gekommen zu sein, jedenfalls erhieltest du von ihnen entweder trotzige Schmähbriefe oder sie flehten und fragten, was sie denn in der jeweiligen Nacht falsch gemacht hätten.
Als ich dein Postfach geöffnet hatte, prasselten die Schicksale all deiner Opfer wie ein Eisregen auf mich ein. Jedes einzelne schien mir zuzurufen »Räche mich!« oder »Beschütze mich!«
Mit einem Augenblick ging es nicht mehr um mein eigenes Schicksal. Mit dem Überschreiten der Schwelle zu deiner Privatsphäre hatte ich mir die Verantwortung der Mitwisserschaft aufgebürdet. Ich hatte auf einmal keine Wahl mehr! Ich musste dich ausschalten, für meinen Seelenfrieden und um das Leben anderer zu bewahren.
Und? Ist dir inzwischen alles wie Schuppen von den Augen gefallen? Oder soll ich dir noch ein bisschen auf die Sprünge helfen? Hast du herausbekommen, dass dein vermeintliches »Mordopfer« kein unschuldiger Mann war? Kein Wunder, denn ich hatte ihn sorgfältig ausgewählt, nachdem ich mehrere meiner Forenmitglieder meiner Seite ausspioniert hatte.
Der Mann war ein Kinderschänder. Das bestätigten seine Mails, seine Einkäufe abartiger Videos und seine regelmäßigen Flüge nach Thailand. Seine letzten Sexferien nutzte ich schließlich aus, um mit seinem Konto ein überhöhtes Gebot bei einer Onlineversteigerung abzugeben. Du warst der Verkäufer. Die Zahlung erfolgte über Einzugsermächtigung. Der anschließende Streit zwischen euch beiden und somit das Mordmotiv war bei dem Betrag, um den es ging, vorprogrammiert. Da ich aus deiner E-Mail-Korrespondenz stets über deine häufigen Reisepläne in andere Städte informiert war, war es mit etwas Geschick und Übung leicht, eine Tatwaffe mit entsprechenden Fingerabdrücken aus deiner Küche und den am Tatort gefundenen »persönlichen Gegenstand« zu entwenden. Um dich zum rechten Zeitpunkt zum Tatort zu locken, bedurfte es nur noch eines kurzen Flirts unter falschem Namen in dem Forum, in dem wir uns erstmalig kennengelernt hatten. Der Rest, vom Auftauchen der Polizei über die Gerichtsverhandlung bis hin zum Urteilsspruch, ist eine Geschichte, die du als Angeklagter und Verurteilter viel besser kennst als ich.
Aus sicherer Quelle weiß ich übrigens, dass du ein eifriger Besucher der Gefängnisbibliothek bist und dir regelmäßig Bücher ausleihst.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis du auf die aufwendig gestaltete Anthologie aufmerksam und damit über mein Pseudonym und meine (selbstverständlich frei erfundene) Geschichte stolpern wirst.
PS : Mach dir keine Mühe, nach mir forschen zu lassen. Mein eigenes Forum ist längst gelöscht und mehr über mich als meine Heimatstadt und meinen Vornamen wirst du nie erfahren. Zu gut habe ich gelernt, Spuren zu erkennen und das Notwendige zu unternehmen, um sie gründlich zu verwischen. In diesem Sinn: Carpe Diem!
Annette Weber Sorry, Spider!
Sie nennen ihn »Spider«. Er ist der Held der Mannschaft, der Held der Stadt. Geduldig und reglos steht er vor seinem Tor und bewacht sein Netz. Täuschen, belauern, anlocken, zuschnappen – das ist sein Metier. Er ist mein Mann.
Es ist Sonntag in der großen Stadt. Während ich vor dem Haus auf ihn warte, schaue ich die menschenleere Straße entlang und nehme die feierliche Stille wahr, die über allem liegt, das leise Klappern des Geschirrs, das sonntags so ganz anders klingt. Voller Spannung und Vorfreude bereiten sich die Menschen auf das Endspiel vor. Jeder auf seine Weise.
Ich schaue auf, als sich eine Hand auf meine Schulter legt, und schalte mein Lächeln an. Schwarze Haare, schwarze Augen, sinnlicher Mund. Die Bestie ist schön.
»Wir müssen gleich los, mach' Dich fertig, ja?«, seine Stimme klingt sanft, doch seine Finger krallen sich schmerzhaft in meine Schulter. Ich bin schon fertig, aber ich gehe zurück ins Haus und setze mich für ein paar Minuten auf den Badewannenrand, bevor ich zu ihm ins Auto steige. Er schaut mich nicht einmal an.
Auf der Fahrt zum Clubheim herrscht angespanntes Schweigen. Er ist nervös und ich bin es auch. Eigentlich eine nette Idee, so ein zwangloses Mittagessen vor dem großen Ereignis. Alle sind eingeladen, Spieler, Familien, Helfer, Freunde. Es wird gutes Essen geben, gute Musik, guten Wein. Es wird viel gelacht werden. Ich hasse es.
»Na, freust Du Dich schon, Schatz?«, fragt er und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich schaue aus dem
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