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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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hatte sie kaum gekannt. Nur ihre Mutter war damals zur Beerdigung nach Triest geflogen und hatte auch die Erbschaftsformalitäten geregelt. Tante Alda hatte keine anderen Verwandten mehr. Ihrer Nichte hinterließ sie das Haus und etwas Geld. Irgendwann hatte die Mutter es dann Mia und ihren beiden Brüdern, die sich nicht dafür interessierten, geschenkt.
    Seit Jahren kümmerte sich eine alte Nachbarin um das kleine Anwesen, in dessen verwuchertem Vorgarten eine mächtige Palme stand, deren Blätter leise im Abendwind raschelten. Mia schob das quietschende Gartentor ins Schloß und schaute sich um. Die Straßenbeleuchtung warf mattes Licht auf das Grundstück. Die Fensterläden des Hauses waren verschlossen und hingen schief in den Scharnieren. Die Haustür konnte sie nur öffnen, indem sie sich heftig dagegenstemmte. Spinnweben hingen im Flur, der Lichtschalter funktionierte nicht. Mit dem Feuerzeug in der Hand tastete sie sich auf der Suche nach dem Sicherungskasten voran. Sie hatte vor Wochen einmal mit der Nachbarin telefoniert, aber keinen genauen Termin für ihren Besuch in Triest genannt. Warum nicht? Und warum nur war sie nicht auf den Gedanken gekommen, wenigstens die erste Nacht im Hotel zu verbringen?
    Die Koffer ließ sie unausgepackt im Flur stehen, riß nur ein paar Fenster auf und warf ein stockiges Tuch über das Bett. Dann ging sie hinaus, um ein paar Schritte durchs Dorf zu laufen. Sie kam an der Kirche vorbei und hatte bald darauf einen freien Blick auf die Stadt. Vom neuen Hafen spiegelte sich das Licht der Scheinwerfer auf den Molen weit ins Meer hinaus, dahinter sah sie die Leuchtsignale auf den Deichen und die Lichter der beiden Küsten, die den Golf umgaben. Mia dachte daran, daß sie hier zuletzt mit Alda gestanden hatte, vor siebzehn Jahren. Aber an das Gesicht der Großtante erinnerte sie sich nur von den Fotos aus dem Album ihrer Mutter, das sie als Kind auf dem Weingut ihrer Eltern oft durchgeblättert hatte.
    »Da Gigi« hieß die Trattoria in der Ortsmitte, ein paar Tische standen draußen unter einer Pergola. Obwohl es spät war, bereitete ihr die alte Wirtin noch etwas zu essen, doch statt einem halben Liter Rotwein brachte sie nur ein Glas und eine Flasche Mineralwasser. Mia bestellte gleich noch einmal Wein, erhielt ihn aber erst zusammen mit den marinierten Sardinen, die ihr zur Vorspeise serviert wurden. Sie bestand darauf, daß ihr eine Karaffe gebracht wurde. Die Wirtin sagte lachend, es sei wohl klüger, nachzugeben, als ständig zwischen Tresen und Tisch hin- und herzulaufen. Alles kam Mia so eigenartig vertraut vor, obwohl sie erst zum zweiten Mal in ihrem Leben hier war. War es die mütterliche Art der Wirtin, die sie ausfragte wie ein kleines Kind? Als sie verstand, daß Mia aus einer Emigrantenfamilie stammte, setzte sie sich für einen Augenblick zu ihr und erzählte, wie es sie einst selbst nach Servola verschlagen hatte. Nach dem Krieg, aus Istrien. Doch dann wurde sie von anderen Gästen gerufen, und Mia saß wieder alleine am Tisch. Eine junge Frau mit einem rosaroten Rucksack legte wortlos ein Stoffbärchen und ein Kärtchen vor sie. Neugierig las Mia die Botschaft: Eine Taubstumme, die um eine kleine Spende bat. In Sydney gab es das nicht. Mia legte einen Schein auf den Tisch, den die junge Frau ohne eine Geste des Dankes einsteckte und fast lautlos verschwand.
    »Das war doch viel zuviel«, sagte die wachsame Wirtin streng. »Ein paar Cent genügen, wenn überhaupt. Wenn man soviel gibt, lockt man damit doch nur andere, und irgendwann verwandeln sich unsere Lokale in Verkaufsbuden, in denen niemand mehr Ruhe hat. Sie müssen das Leben hier erst noch kennenlernen.« Doch dann fuhr die alte Frau ihr freundlich mit der Hand übers Haar und forderte sie auf, noch etwas zu essen. Mia bestellte nach dem Teller Spaghetti mit Meeresfrüchten noch einen halben Liter Rotwein und schmiedete Pläne für die nächsten Tage. Sie erkundigte sich nach den Busverbindungen ins Zentrum, nach den Öffnungszeiten des Friedhofs und fragte, wo man im Dorf einkaufte. Eine Karte für ihr Mobiltelefon mußte sie besorgen, ein Konto eröffnen, das Grab der Tante besuchen und ihr Grüße aus Australien ausrichten, mit der Nachbarin sprechen und vor allem das Haus bewohnbar machen. Dann zur Notarin, die all die Unterlagen in der Erbsache verwahrte, und schließlich einen Makler finden, der vertrauenswürdig war. Vielleicht sollte sie die Nachricht, daß sie das Haus verkaufte, auch im Dorf

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