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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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deutschen Kennzeichen, um die Preßluftleitung der Fahrzeuge mit einer Zange zu kappen?
    Als die Luft mit einem wütenden Zischen herausschoß, ächzte der erste LKW wie ein erlegtes Stück Großwild, das sein Leben aushauchte. Was für ein Höllenlärm! Aber er hatte noch nicht genug. Als er unter dem zweiten hervorkroch, rissen ihn drei kräftige Kerle an den Armen empor und droschen ohne Warnung sofort auf ihn ein. Die drei waren nicht größer als er. Mit einem alleine wäre er spielend fertig geworden, vielleicht sogar mit zweien. Aber sie hielten ihn fest und prügelten auf ihn ein, was das Zeug hielt. Bis er endlich eine Hand freibekam und sich wehren konnte. Einen der Typen konnte er zu Boden befördern und, die Schrecksekunde nutzend, seinen Motorroller erreichen, mit dem er entwischte und zu seinen Freunden stieß, die, wie sie ausgemacht hatten, an der nächsten Ecke auf ihn warteten. Keuchend berichtete er, was passiert war. Sie mußten sehen, daß sie wegkamen, weil ganz gewiß in Kürze eine Streife der Polizei oder der Carabinieri auftauchen würde.
    Der Sturzhelm drückte auf eine Wunde am Hinterkopf, wo sie ihm ein Büschel Haare ausgerissen hatten, und der Fahrtwind schmerzte im ganzen Gesicht. Als er erschöpft nach Hause kam, schlich er leise ins Bad und duschte heiß und lange. Dann hinkte er in sein Zimmer und hoffte, daß seine Freundin nicht aufwachen würde. Federica hatte angekündigt, nach der Arbeit zu kommen und war längst im Besitz eines Schlüssels des Hauses seiner Eltern. Doch nicht einmal sie durfte von dieser Tat wissen. Er zuckte vor Schmerz zusammen, als sie im Schlaf den Arm um seinen Oberkörper legte und sich an ihn schmiegte.
    »Mucca pazza« nannte sich die kleine Gruppe. Sie waren mehrfach den stinkenden Lastwagen gefolgt und hatten die Verladung der armen Tiere beobachtet, die in tagelangen Transporten ohne Wasser durch Europa gekarrt und schließlich im Hafen von Triest mehr tot als lebendig aus ihrer rollenden Folterkammer auf ein Schiff getrieben wurden. »Tierärzte« nannten sich die Menschen, die dem Vieh, das nicht mehr aufstehen konnte, Dopingspritzen verpaßten und ungerührt hinnahmen, daß die erschöpften Tiere, die es alleine nicht mehr schafften, an einem Bein oder den Hörnern angekettet, von einem Kran an Bord gehievt wurden. Daß die Rinder vor Schmerz und Durst brüllten, schien allen, die dort arbeiteten, so egal zu sein wie jenen, die daran verdienten, dank der Prämien der Europäischen Union für jedes Stück Vieh, das Europa nicht tot verließ. Die Rinder wurden, sofern sie lebend im Libanon oder anderen Ländern des Nahen Ostens ankamen, in den Schlachthäusern für die Qual der Reise entschädigt.
    Die Mitglieder der »Mucca pazza« waren angehende Köche, und alle waren sie der Meinung, daß gute Küche gute Zutaten brauchte. Sie wußten, daß man auch mit wenigen Mitteln gut und gesund kochen konnte. Eine ordentliche Pizza war Beweis genug, solange man die richtigen Zutaten verwendete. Selbst Fast food mußte nicht miserabel zubereitet werden.
    Seit einiger Zeit rührte er kein Fleisch mehr an. Die Grillfeste, die seit Wochen zu Hause im Garten stattfanden, mied er verächtlich und forderte immer wieder in hitzigen Diskussionen dazu auf, den Metzger nach der Herkunft des Fleischs zu fragen. Er sei gewiß kein Vegetarier, behauptete er, aber man sollte eben einheimische Tiere kaufen, die ordentlich ernährt worden waren. Auch beim Fisch sei gefälligst darauf zu achten, daß er nicht aus der Zucht stammte, wo die gleichen miserablen Bedingungen herrschten wie bei Schweinen und Kälbern. Und die Freunde der Familie, die fabrikgefertigte Čevapćići mitbrachten, die auf dem Grillrost in eigenem Fett und Konservierungsstoffen schwammen, sollten sich das Zeug am besten samt der Styroporverpackung in den Schlund schieben.
    Irgend jemand mußte endlich handeln. Wie konnte man so gefühllos und blind sein, Tiertransporte durch halb Europa hinzunehmen, bei denen das Vieh nicht einmal mit dem Nötigsten versorgt wurde? Gesetze hin, Gesetze her. Wer glaubte schon den Aufschriften auf den Lastwagen, die behaupteten, daß die Tiere automatisch getränkt und gefüttert würden? Das war nur ein Trick. Im Großteil der Fälle hielt sich keiner an die Vorschriften. Und die Transportpausen wurden auf keinen Fall eingehalten, das war jedem bekannt.
    »Mucca pazza« hatte beschlossen, gegen diesen zum Himmel stinkenden Mißstand vorzugehen. Ihre Aktion sollte nur

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