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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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streuen. Aber es war wohl klüger, sich vorher in der Stadt über die Marktpreise zu erkundigen.
    »Morgen bringe ich der Tante ein paar Blumen«, sagte Mia und bezahlte. Als sie sich vom Tisch erhob, wankte sie ein wenig. Sie war müde und betrunken und winkte der Wirtin zum Abschied zu.
    Am nächsten Morgen erwachte sie von einem Klopfen an der Tür zum Hof. Jemand rief ihren Namen. Sie warf sich rasch die Bluse vom Vortag über und tappte im Halbdunkel des Hausflurs in das grelle Sonnenlicht hinaus. Ein athletischer, unrasierter Mann um die Vierzig konnte seine Blicke nicht von ihren nackten Beinen lösen und sah ihr nur einmal kurz in die Augen, als er sagte, daß seine Mutter, die Nachbarin, ihn geschickt habe. Die Signorina werde erwartet. »Das Dorf weiß alles«, sagte er, bevor sie fragen konnte, woher sie von ihrer Ankunft wußten. Mia versprach, bald vorbeizukommen. Im Keller fand sie schließlich den Hauptwasserhahn und wenig später lief rostiges Wasser spuckend in die Badewanne. Ihr Triestiner Abenteuer konnte beginnen.

Kuhhandel
    Als er sein Gesicht im Spiegel betrachtete, traute er seinen Augen nicht. Den Schmerzen nach hätte es Matsch sein müssen, aber nur die Augenbraue war blutverschmiert und die Lippe etwas dick an der Stelle, wo er sie aufgebissen hatte. Behutsam tastete er Nase, Kinn und Wangen ab. Das linke Auge würde in den nächsten Tagen wohl einige Farbchangierungen durchmachen, und es war gut, sich gleich eine glaubwürdige Erklärung einfallen zu lassen, denn er mußte damit rechnen, unzählige Male gefragt zu werden, was denn passiert sei. Es mußte eine einfache Geschichte sein, leicht zu merken und weit entfernt von der Wahrheit.
    Sie hatten die Aktion schon seit Wochen geplant, aber erst in dieser Nacht zugeschlagen. Alles war perfekt: Material, Timing und Orte. Daß ausgerechnet er, der alles so präzise vorbereitet hatte, sich nicht an den Plan hielt, den er den anderen eingebleut hatte, war dumm gewesen, und nur mit viel Glück war er noch einmal davongekommen.
    Und jetzt brauchte er eine gute Ausrede, damit niemand die Aktion der Tierschützer mit seinen Verletzungen in Verbindung bringen konnte. Er betupfte die Wunden mit Aloe und hielt den Atem an. Schritte im Flur. Normalerweise schliefen um diese Uhrzeit alle. Als er die Tür zur Toilette nebenan klappen hörte, schlich er sich auf Zehenspitzen zurück in sein Zimmer. Eine Schlägerei, würde er behaupten. Vielleicht war es am besten, er erzählte, daß er in der Viale an Rechtsradikale geraten war. Dann würde er mit einer halbstündigen Moralpredigt davonkommen. Oder vielleicht erfände er eine Geschichte von fanatischen Anhängern der »Triestina«, die sich gestern abend wieder so weit vom Aufstieg in die »Seria A« weggespielt hatte, daß wohl auch der Sohn Gaddafis sein Kaufangebot zurückziehen würde.
    Zunächst hatten sie die Wand am deutschen Konsulat mit Spraydosen und der sorgfältig geschnittenen Schablone mit ihrer Botschaft verschönert und waren anschließend zur Hauptpost weitergezogen, wo die Triestiner Geschäftswelt am Morgen mit ihrer Botschaft konfrontiert werden würde. Die schwarzen Nutten im Borgo Teresiano hatten sich nicht weiter um sie gekümmert, sich aber vorsichtshalber in die Nebenstraßen verzogen. Dann wieder ab auf die Motorroller und zum Rathaus hinüber, anschließend zum Redaktionsgebäude der Tageszeitung   Il Piccolo , wo sie auf der Hut sein mußten, daß keiner der Zeitungsfahrer sie erwischte, die ihre Lieferwagen am Ende der Druckstraße beluden. Dann war die Zufahrt zum Porto vecchio dran, wo zwei stinkende Viehtransporter die Nacht über vor dem Tor standen, das die Zufahrt zum Freigelände versperrte. Die vom tagelangen Transport geschundenen Rinder brüllten vor Durst, Hunger und Schmerzen, doch die Fahrer ließen sich dadurch sowenig aus der Ruhe bringen wie vom Gestank. Aus dem Führerhaus eines der Fahrzeuge drang bläuliches Licht. Vermutlich schauten die Männer fern, obwohl es längst nach zwei Uhr war. Keine Minute dauerte es, den Protest gegen die qualvollen Viehtransporte auf das Tor zur Hafeneinfahrt zu sprühen, und auch für das Heck der LKWs brauchten sie nicht lange. Niemand schien sie bisher bemerkt zu haben, und sie hätten sich bequem nach Hause aufmachen können, mit der Gewißheit, daß ihre Aktion breit durch die lokalen Medien gehen würde. Warum nur hatte er sich damit nicht begnügt, sondern war noch einmal zurückgegangen zu den Lastwagen mit den

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