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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Livia ließ ihn nicht ausreden. »Warum können diese dreckigen kleinen Spanner einen nicht in Ruhe lassen!«
    »Sprich nicht so von meinen Kollegen. Außerdem gibt es Zecken da oben.« Laura und er waren, als sie sich vor einem Vierteljahrhundert kennengelernt hatten, auf dem Karst in so manche Feldwege abgebogen. Von ihren Liebesspielen im Meer, auch bei Tageslicht und unweit von anderen Badegästen, ganz abgesehen. Solange man nur nicht in einen Seeigel trat. Aber davon wollte er seiner Tochter nichts erzählen. Wer weiß, wo sie gezeugt wurde? Laura behauptete immer, es sei oben bei Monrupino passiert, auf der Mauer, die die kleine mittelalterliche Wehrkirche umsäumt.
    »Hast du den Durchschlag der Anzeige?« fragte er.
    »Ja, natürlich.« Livia atmete erleichtert auf. Daß ihr Vater danach fragte, hieß doch, daß er mit seinem Einfluß die Sache aus dem Weg räumen würde. Tochter eines Polizisten zu sein bot auch Vorteile – solange er kein Betonkopf war. Aber als Vater von drei erwachsenen Kindern hatte Laurenti ein Vierteljahrhundert Gegenerziehung genossen.
    »Und dein Freund? Was sagt der dazu?«
    »Vladimir? Ich wollte mit dir alleine reden. Er schläft noch.«
    »Dann hol jetzt das Papier. Ich muß ins Büro.«
    Das Haus an der Küste, das sie vor einem guten Jahr von dem alten Gerichtsmediziner Galvano übernommen hatten, war voll belegt. Alle drei Kinder hatten beschlossen, die Sommermonate hier zu verbringen, zusammen mit ihren »Fidanzati«, den Freundinnen und Freunden. Selbst Laurenti hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß er ihnen keine Vorschriften mehr machen konnte und vor allem akzeptieren mußte, daß sie ihr eigenes Leben führten – ohne ihn. Dafür mit den jeweiligen Lebensgefährten, die manchmal schneller wechselten, als er sich ihre Namen einprägen konnte. Livia war nach Abschluß ihres Germanistikstudiums von Berlin nach München umgezogen, wo sie ein Volontariat in einem kleinen Buchverlag absolvierte und sich Hoffnungen auf eine Lektoratsstelle machte. In einem Biergarten hatte sie Vladimir kennengelernt, einen tüchtigen jungen Mann vom Karst, der seine erste Anstellung bei einem High-Tech-Unternehmen gefunden hatte.
    Patrizia, seine Lieblingstochter, hatte schon wieder einen neuen Verehrer, namens Santo, den Laurenti alles andere als angemessen fand. Santo war über zehn Jahre älter als sie und galt in Neapel, wie er arrogant behauptete, als Starfriseur. Nach Laurentis Meinung war er gewiß nicht halb so gut wie sein alter Freund Oskar, der ihm in seinem kleinen Salon an der Via del Mercato vecchio seit fünfundzwanzig Jahren die Haare schnitt. Patrizia hatte sich in ihrem Archäologiestudium inzwischen spezialisiert und widmete sich mit großer Hingabe der erotischen Abteilung des Archäologischen Nationalmuseums. Und dieser Santo hielt sie ganz sicher davon ab, ihre Magisterarbeit zu schreiben, die sie sich für die Sommermonate vorgenommen hatte. Laurenti hoffte nur, daß der Kerl nicht ewig Urlaub machen konnte.
    Auch sein Sohn Marco sorgte für Überraschungen. Eines Tages hatte er zum Erstaunen aller erklärt, doch nicht Skipper werden zu wollen. Laurenti vermutete als Grund für diese Entscheidung, daß seine Freundin aus Monfalcone, mit der er diesen Traum gesponnen hatte, ihm den Laufpaß gegeben hatte. Nach seinem Militärdienst bei der Küstenwache und später bei der Marine in La Spezia hatte er einige Monate als Tankwart gejobbt, doch dann schrieb er sich im vergangenen Herbst plötzlich in die Gastronomieschule in Aviano ein: Marco wollte Koch werden. Spitzenkoch, wie er stets betonte. Sein Vater hegte jedoch den Verdacht, daß Federica, seine neue Flamme, hinter dieser Entscheidung stand. Das nette Mädchen war völlig in seinen Sohn verknallt. Sie arbeitete den Sommer über im Restaurant des eleganten »Hotel Savoy« in Grado, wo sie ihr Handwerk in der Crew einer Großküche von hohem Niveau verfeinerte. Sie fuhr fast jede Nacht nach der Arbeit herüber. Marco hatte es etwas näher. Er absolvierte ein dreimonatiges Praktikum in Triests Spitzenrestaurant »Scabar«. Laurenti hatte anfangs für die »Trattoria al Faro« plädiert, doch dann war sein Freund Franco von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche verschwunden, und der neue Stil im Lokal gefiel ihm nicht. Als Laurenti sah, wie sich Marco ins Zeug legte, seit er in dem weit über die Stadtgrenzen hinaus gerühmten Restaurant arbeitete, war er Tag für Tag mehr auf die unerwartete Entwicklung

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