Der Tod wirft lange Schatten
Kriegsgefangene, die das Material in die Stadt bringen mußten. Für das Museum von diesem fanatischen Sammler. Ich wurde schallend ausgelacht und über Monate mit der Sache aufgezogen.«
Weder Laurenti noch irgendein anderer der Zuhörer kannte diese Geschichte. Sonst wurde doch jeder noch so unwichtige Quark breitgetreten. Aber die Signora schien ein fabelhaftes Gedächtnis zu haben, man mußte ihr glauben.
»Ich bin später losgezogen, um mir das Gerät anzuschauen. Auf San Vito stand es auf einem Grundstück mit allerlei anderem Zeug, das dieser sonderbare Mann zusammengetragen hatte. Er erwischte mich, als ich dort herumstreifte. Ich erinnere mich gut an seinen stechenden Blick, der mich zu durchbohren schien, und wie er wie ein Roboter über das Gelände stakste. ›Wie hältst du es mit Lesen und Schreiben?‹ fragte er mich streng und erklärte sogleich, wie wichtig beides im Leben sei. Er bezeichnete sich selbst als Graphomanen, Schriftfanatiker, und holte aus seinen Taschen eine Unzahl kleiner Notizbücher, die er mit seiner akkuraten Schrift gefüllt hatte. Dann führte er mich über das Gelände und hielt mir, einer sechzehnjährigen Göre, einen ausführlichen Vortrag über die schweren Waffen, die mir ein paar Tage zuvor diesen gewaltigen Schrecken eingejagt hatten. Er wußte alles über sie, aber manchmal hatte ich den Eindruck, daß die Phantasie mit ihm durchging: Panzerjäger, 38-Tonner, Marder III, U-Boote verschiedenster Größen, dann dieser angebliche Prototyp einer riesigen Atomkanone, die die Amerikaner ›Annie‹ nannten und die Deutschen angeblich ›Adolf Hitler‹. Sie wurde von einem Raupenfahrzeug von Kraus Maffei geschleppt, alles in technisch einwandfreiem Zustand. Angeblich hatte er das Zeug aus Modena. Eine der provisorischen Brücken über den Po soll unter der Last zusammengebrochen sein und Diego de Henriquez stürzte sich als erster in den Schlamm, um ein Seil an der Kanone zu befestigen. Eine eigentümliche Geschichte, die damals viele Menschen tief verstört hat. Die deutschen Kriegsgefangenen waren wohl die einzigen, die das Gerät bedienen konnten. Warst du mal in seinem Museum?«
Laurenti schüttelte den Kopf. Immer wieder hatte er sich vorgenommen, das »Museum des Krieges für den Frieden – Diego de Henriquez« zu besuchen. Oft genug hatte er in den letzten Jahren davorgestanden, nachdem die Stadt nach dreißigjährigem Zögern endlich Räume dafür gefunden und es der allgemeinen Museenverwaltung unterstellt hatte. Es war in einer ehemaligen Kaserne untergebracht, auf dem Gelände, wo die Stadtpolizei die abgeschleppten Autos der Parksünder abstellte und in dessen hinterem Teil die bei Straftaten sichergestellten Fahrzeuge standen. Zu den Vigili urbani hatte Laurenti ein gespanntes Verhältnis, und aus Waffen machte er sich nicht viel.
»Als der Krieg zu Ende ging, war Diego de Henriquez sechsundvierzig Jahre alt und sprach mindestens sieben Sprachen fließend. Ein Relikt der k.u.k.-Erziehung aus besserem Hause«, fuhr die resolute Signora fort. »Am dritten Mai 1945 baten die Alliierten ihn, bei der Kapitulationserklärung der Deutschen als Übersetzer zu fungieren. De Henriquez stand in durchaus vertrautem Umgang mit den ehemaligen Besatzern. Er konnte überhaupt mit allen. Mit Unterstützung der italienischen Faschisten hatte er 1929 seine Sammlung in San Pietro auf dem Karst begonnen, das heute auf der slowenischen Seite liegt. 1943 transportierten die Deutschen dann das ganze Material für ihn in die Stadt, danach unterstützten ihn die Alliierten, und sogar von den Tito-Partisanen wurde er respektiert: Die nannten ihn den ›Genossen Henriquez‹ und ließen das ›de‹ weg, während die Faschisten seinen Nachnamen italianisiert hatten. Nur im Nachkriegs-Triest hatte er plötzlich so viele Feinde wie nie zuvor. Es gab ja auch genug zu vertuschen.«
»Stimmt es eigentlich, daß der Mann in einem Sarg schlief?« fragte eine Freundin Lauras.
»Ja, mit einem Stahlhelm und einer Samuraimaske«, bestätigte die kleine Dame. »Aber hört euch die Sache mit der Kapitulationsverhandlung an! An der Seite des deutschen Stadtkommandanten, Generalmajor Linkenbach, saßen der Leiter des Einsatzbüros Adriatisches Küstenland, Oberst Berger, und Major Schwesig. Oberst Donald und Generalleutnant Fryberg, Neuseeländer im Verband der britischen Armee, verhandelten für die Westalliierten, während die Tito-Truppen mit harter Hand das Kommando in der Stadt führten, die
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