Der Tod wirft lange Schatten
sie zwei Tage vorher befreit hatten. Der deutsche Befehlshaber hatte sich standhaft geweigert, seine verbliebenen Verbände den Tito-Partisanen auszuliefern, und befohlen, die Stützpunkte bis zum letzten Mann zu verteidigen. Nur mit den Engländern war er zu Verhandlungen bereit. Da kaum ein Engländer Deutsch sprach, hatte man Diego de Henriquez gebeten, als Dolmetscher zu fungieren. Er trug eine weiße Fahne, als sie zu den Deutschen hineingingen, Stunden später kam er mit der Uniform Linkenbachs wieder heraus. ›Die nützt Ihnen nichts mehr‹, soll er gesagt haben. ›Ich brauche sie für das Museum.‹ Und es ist ihm sogar gelungen, in die Kapitulationserklärung aufnehmen zu lassen, daß die Alliierten beim Aufbau des Museums helfen würden. Was ist das? Genialität oder Wahnsinn?«
Als auch Galvano endlich mitbekam, daß Stefania Stefanopoulos über Diego de Henriquez sprach, sprang er so aufgeregt auf, daß er seinem Hund auf den Schwanz trat, der laut aufjaulte.
»Diese Lagerhalle im Industriegebiet«, polterte der Alte los, »ist sicher eines seiner verschollenen Depots. Nach seinem Tod blieben drei dieser Lager unauffindbar.«
»Ach, der gute Doktor hat natürlich auch dazu etwas zu sagen«, sagte die Griechin pikiert.
»Ich habe ihn damals obduziert«, keuchte Galvano. »Aber erst sieben Monate nach seinem Tod. Da war nicht mehr viel zu sehen.«
Die Signora verstummte. Sie hatte noch nie in ihrem Leben mit einem Mann ums Wort gekämpft. Wer Takt hatte, ließ sie reden und unterbrach sie nicht. Ihr Schweigen war für normale Menschen laut genug, für Galvano nicht. Er ließ sich auf einen Stuhl in ihrer Nähe fallen. Marilyn, der vornehme Pudel, leckte sich die Lefzen, als er den schwarzen Köter sah.
»Am 27. Dezember 1974 haben sie ihn mir auf den Tisch gelegt. Als Festtagsbraten zwischen Weihnachten und Neujahr«, donnerte Galvano los. »Fast sieben Monate waren seit dem Tod vergangen, dann kam der Obduktionsbefehl doch noch. Aber was kann man nach sieben Monaten an einem verkohlten Leichnam noch erkennen? Die vierte, fünfte, sechste und siebte Rippe war gebrochen, das konnte aber auch davon kommen, daß man ihn unsanft in den Sarg gestopft hatte. Keine Schußverletzungen, keine weiteren Frakturen. Die Lunge war nur noch ein lausiger Rest Gewebe. Statt mir die Leiche gleich auf den Tisch zu legen, hat man wieder einmal einen Mythos geschaffen. Als hätten wir davon nicht schon genug.« Und mit einem Seitenblick auf die Griechin sagte er: »Seither übertrifft ein Gerücht das nächste.«
»Aber er hatte doch einen Draht um den Oberkörper«, protestierte Signora Stefania indigniert.
»Niemand hat damals festgestellt, ob der nur auf ihn heruntergefallen war, oder ob man ihn damit gefesselt oder gar erwürgt hatte. Ich fand kleinste Metallfasern. Der technische Gutachter identifizierte sie als Fasern gängiger Telefonkabel. Verheddert hatte er sich dagegen in einem Stromkabel. Die Fasern befanden sich an der linken Brust und auch links am Hals. Nichts am Rest des Halses, nichts an den Handgelenken und nichts an den Beinen.« Galvano schüttelte den Kopf. »Da war wirklich nichts zu machen.«
»Er hatte vor seinem Tod mehrfach geäußert, daß er sich bedroht fühlte. Deshalb trug er auch immer eine Waffe mit sich.«
»Eine 6.35er Beretta. Durch die Hitze waren die Kugeln alle im Magazin explodiert. Geschossen hatte er nicht damit. Laßt den Mann in Frieden ruhen, wendet euch der Zukunft zu.« Auf der einen Seite war Galvano wie üblich wild geschwätzig, auf der anderen Seite paßte er höllisch auf, nichts von seinen eigenen Nachforschungen preiszugeben.
»Ich habe die Berichte damals aufmerksam gelesen«, begann die Signora wieder. »De Henriquez war gerade erst nach Hause gekommen, kurz bevor der Brand bemerkt wurde, weil die Fensterscheiben platzten. So schnell breitet sich ein frisches Feuer unmöglich aus, daß er sich nicht mehr hätte retten können. Sein Hund hatte es immerhin hinaus geschafft, warum also nicht auch de Henriquez? Kurzschluß, das ist doch lächerlich. Außerdem stand seit Tagen ein junges Paar in der Nähe herum und spionierte ihn aus.«
»Die knutschten nur. Man hat sie später verhört.«
»Das glaube ich nicht.«
»Er wurde ständig bestohlen«, winkte Galvano ab. »Deshalb schlief er im Erdgeschoß in seinem Sarg, wo ganz in der Nähe ein Heizlüfter und eine elektrische Kochplatte standen, daneben unendlich viel Zeug in Tüten und Berge von Papier,
Weitere Kostenlose Bücher