Der Tod wirft lange Schatten
Stefanopoulos kein Ende fand, von dem angeblich so liebreizenden Mann und seiner autodidaktischen Weltbildung zu schwärmen. Galvano behauptete hingegen, er sei für seine ausgeprägte Schwäche für kleine Jungs bekannt gewesen. Die sonst so vornehme Signora Stefania fuhr ihm dafür scharf über den Mund. Dann wiederholte er, es habe damals Druck von oben gegeben, die Akte Diego de Henriquez so schnell wie möglich zu schließen. Die Frage, wer damals Druck gemacht habe, schien er aber nicht gehört zu haben.
»Ich kann es nicht mehr ertragen«, sagte Stefania Stefanopoulos ärgerlich. »Sie spielen sich doch nur auf. Wir sind es gewohnt, daß man manche Dinge besser für sich behält. Doch in diesem Fall? Dreißig Jahre ist das jetzt her! Packen Sie endlich aus, Galvano, oder schweigen Sie, wenn Sie nichts wissen. Wovor kann ein Mann in Ihrem Alter sich noch fürchten?«
Galvano war sauer. Diese Dame mit ihren verklärten Erinnerungen. Sein Gedächtnis hingegen arbeitete präzise. Trotzdem schenkten alle den blumigen Anekdoten von Stefania Stefanopoulos mehr Aufmerksamkeit. Vor allem aber verbitterte ihn, daß sie ihm bei jedem Datum aus den letzten Jahrzehnten widersprach. Mag sein, daß sie ein paar Jahre jünger war als er, aber was machte das schon aus?
»Warten Sie nur ab«, sagte er herablassend, »ich schreibe gerade meine Memoiren. Da stimmt jedes Datum.«
»Um Gottes willen! Noch so ein alter Mann, der glaubt, die Menschheit könne ohne seine Erinnerungen nicht überleben.«
»Sie täuschen sich. Ich werde Zusammenhänge aufdecken, von denen Sie nicht einmal zu träumen wagen. Bis hin zu Berlusconi und seinen Versuchen, die Demokratie abzuschaffen.«
»Ach, wissen Sie, Galvano«, sagte Stefania seufzend, »die Demokratie kann man nicht so schnell aushebeln, wie Ihr Alten uns glauben machen wollt, nur damit Ihr Euch als Mahner aufspielen könnt.«
»Ich weiß, man fragt eine Dame nicht nach ihrem Alter«, tobte Galvano. »Aber der Altersunterschied zwischen uns, Teuerste, ist nicht einmal so groß, daß ich Ihr Vater sein könnte. Auch wenn Sie sich angeblich gut gehalten haben. Allerdings nicht so gut wie Ihr Pudel.«
Eine lange, peinliche Redepause entstand. Hastig suchte man nach neuem Gesprächsstoff. Ein aussichtsloses Unterfangen. Wie zwei Panzerkreuzer verpaßten sie sich eine Breitseite nach der anderen. Irgend jemand am Tisch mutmaßte, daß Galvano und Stefania vor ein paar Jahrzehnten eine Affäre gehabt haben müßten, doch die Signora wischte den Einwand vom Tisch.
»Mit dem doch nicht.« Angeekelt verzog sie den Mund und riß ihre weiße Pudelhündin an der Leine zurück, als der schwarze Teufel des ehemaligen Gerichtsmediziners sie beleckte. »Rufen Sie Ihren Köter zu sich, Marilyn fühlt sich belästigt.«
»Eher deckt er einen Seeigel. Er haßt weiße Pudel und würde sie nicht einmal zum Frühstück verspeisen«, sagte Galvano bitter.
Damit waren sie in der Tierwelt angekommen, was Galvano bald zu bunt wurde. Besonders verstimmte ihn, daß diese Griechin dem vorlauten Sohn Laurentis so vehement beistand, als dieser seine lächerlichen Tierschützerideen verbreitete und mehr Bewußtsein bei der Auswahl der Nahrungsmittel forderte. Als Marco in scharfen Worten die Gentechnik verdammte und Stefania so laut applaudierte, daß Marilyn an ihr hochsprang und ihr Gesicht leckte, reichte es. Noch einmal versuchte er, mit sachlichen Argumenten und all seiner Erfahrung als Wissenschaftler zu argumentieren, doch niemand hörte ihm mehr zu. Beleidigt zog Galvano seinen schwarzen Hund an der Leine hinter sich her und stapfte grußlos die Treppe hinauf. Als dies noch sein Haus und sein Grundstück war, hätte sich niemand eine solche Respektlosigkeit erlaubt. Und diese Laurentis hatten auch noch den Dschungel gerodet und einen langweiligen Garten angelegt mit Blumenbeeten und Kräutergarten und einem riesigen Sitzplatz mit Grill. Er hätte hier wohnen bleiben sollen bis zum Tod, statt in die Stadt zu ziehen. In Laurentis alte Wohnung.
*
Laurenti schaute ärgerlich auf das Display seines Mobiltelefons und ging ein paar Schritte vom Tisch der Gäste weg, als er die Nummer der Questura erkannte. Nur selten wurde er nachts verständigt. Um so erstaunter war er, als der Schichtleiter des Streifendienstes sich auch noch für die Störung entschuldigte.
»Sie hatten darum gebeten, unterrichtet zu werden, falls Galvano uns auffällt.«
»Ist ihm etwas passiert?«
»Eine Routinekontrolle. Die
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