Der Tod wirft lange Schatten
Dokumenten und Büchern. Da ist es dann passiert. Der Qualm war so dicht, daß die Feuerwehr zuerst die Fenster in den oberen Geschossen einschlagen mußte, um löschen zu können. Man hat ihn nicht einmal gleich gefunden.«
Galvano gab auf, weil er keinen der Zuhörer auf seine Seite ziehen konnte. Alle hörten der Signora zu, das war zu viel für ihn. Also stand er auf, empfahl allen, sich statt um die Vergangenheit um die Zukunft der Stadt zu kümmern und ging ans Buffet, um sich seinen Teller aufzufüllen.
Die Lücke, die er hinterlassen hatte, war bald geschlossen. Man wollte verhindern, daß der Besserwisser wieder zurückkäme.
Mitternachtsgeschichten
Wenn sie dem alten Mann nicht begegnet wäre, hätte sie den Befehl sofort befolgt. Doch schon die Ahnung von Vertrauen macht weich, weil Hoffnung daraus erwächst.
Sie hatte ihn den ganzen Tag über erfolglos gesucht. Einmal glaubte sie, ihn in der Nähe der Questura gesehen zu haben, mit seinem Hund, doch dann war er plötzlich verschwunden. Und zum zweiten Mal war er nicht zum Abendessen im »Nastro Azzurro« erschienen. Sein Platz war auch an diesem Abend leer geblieben, obwohl er sonst pünktlicher war als die Gezeiten der Adria. Sie war auf der Hut, als sie ihre Runde machte. Einmal hatte sie den Dicken vom Bahnhof gesehen, zusammen mit einer athletisch gebauten jungen Frau in Lederdreß. Auch sie hatten Irina gesehen, doch konnte sie durch einen Hauseingang und eine Hintertür entkommen. Kurz darauf hatte der Boß sie abgepaßt und ihr das wenige Geld abgenommen, das sie bisher verdient hatte. Seit dreiundzwanzig Uhr wartete Irina nun vor dem Eingang zu dem Palazzo in der Via Diaz, wo Galvano wohnte, wie sie seit langem wußte. In seiner Wohnung im vierten Stock brannte noch immer kein Licht. Sie lehnte sich an ein Autofenster, um einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zu werfen. Sie würde den Platz auf keinen Fall verlassen. Irgendwann mußte der alte Mann nach Hause kommen.
*
Marco scherte sich kaum um die Resonanz auf seine Kochkünste. Er war mit sich zufrieden, und die kleinen Patzer verschwieg er lieber. Den freundlichen Kommentaren der Freundinnen seiner Mutter traute er ohnehin nicht, aber als Stefania Stefanopoulos das Essen in höchsten Tönen lobte, lächelte er breit. Er überhörte die üblichen Einwände, daß roher Fisch eklig sei und man doch lieber die altbewährte Triestiner Küche bevorzuge, die es nach seiner Meinung gar nicht geben konnte. Über neunzig Ethnien hatten ihre Einflüsse in der Stadt und ihrer Küche hinterlassen. Es konnte nicht einfach alles durcheinandergemischt werden. Nur wenn man wußte, woher die vielen Geschmacksrichtungen kamen, konnte man Tradition mit Kreativität ergänzen. Diese Damen hatten keine Ahnung und folgten Marcos Erklärungen mit Kuhaugen. Safran stammt aus Süditalien, die besten Linsen kommen von den äolischen Inseln, Sardinen und Tintenfische aus dem Triestiner Golf, Mandeln und Rosenwasser aus dem Arabischen, den Stockfisch hatten einst portugiesische und spanische Einwanderer mitgebracht, die besten Scampi lieferten Fischer von der Adria-Insel Cherso, manche Gewürze stammten aus dem Orient, andere aus der Provence, Kren aus der österreichisch-ungarischen Küche. Marco sprudelte sein Wissen wie ein Musterschüler hervor, trotzdem war es ihm peinlich, daß sein Vater beinahe vor Stolz platzte und pausenlos von den Kochkünsten seines Sohnes schwärmte. Immerhin hatte er versprochen, ihm trotz der verlorenen Wette die nächsten Ferien zu bezahlen und auch das Ticket für Federica.
Doch wann würden endlich die beiden blondierten Freundinnen von Mama verschwinden? Was machten die überhaupt, wenn sie nicht mit Laura am Strand lagen und am Abend billige Čevapćići aus dem Supermarkt grillten? Die drei Geschwister waren sich einig, daß ihre Mutter einen besseren Umgang verdient hatte.
Gegen Mitternacht verzog sich Marco mit der Entschuldigung, daß er am nächsten Tag wieder früh aufstehen müßte. Er wurde mit Beifall verabschiedet. Kurz darauf saß er auf seinem Motorroller und fuhr in die Stadt. Seine drei Freunde warteten bereits auf ihn.
*
Doktor Galvano war diesmal nicht unter den letzten Gästen. Er war beleidigt, fühlte sich von der Dame mit dem Königspudel um die Aufmerksamkeit betrogen. Mehrfach hatte er versucht, sich noch einmal mit seinen Erinnerungen an den Waffensammler und die angespannte Situation jener Jahre in den Vordergrund zu spielen, als Stefania
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