Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
hatte.
Man rief auf seinem Zimmer an und teilte ihm dann mit, dass der Besucher hinaufkommen könne.
Es war eine Suite. Prächtiger Blick auf die feine Stadt, die sich weiter unten erstreckte. Prächtiges Licht der sauberen Stadt, die bis zum Tibidabo heraufklettern wollte. Prächtige Möbel, die sich seidig anfühlten, ein prächtiges Bett, in das man sich nur fallen zu lassen brauchte, und schon stieg der Mehrwertsteuersatz.
Auf dem Bett lag ein prächtiges Weibsbild.
Das Mädchen, kaum älter als zwanzig, deckte sich schnell zu, als Escolano den Raum betrat. Escolano erinnerte sich an die Anzeigen in den Zeitungen: »Escort Service. We speak English.« Bestimmt war sie auch bei Kongressen tätig. Erasmus hatte wirres Haar, seine Wangen glühten, und den Pyjama hatte er offensichtlich in aller Eile angezogen. Escolano hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er Minuten zuvor noch eine Nummer geschoben hatte.
»Ich komme ungelegen«, sagte er.
»Nein, nicht doch, Escolano … Ich habe Sie ja für diese Uhrzeit bestellt. Ich dachte, ich wäre mit dem Mädchen bereits fertig. Das Ganze hat sich etwas in die Länge gezogen, sie war ein wenig zickig. Und jetzt sitzt ihr der Schreck in den Knochen.« Er sah zu ihr hinüber, wie sie da zusammengekauert auf dem Bett lag, während Erasmus zu ihr sagte: »Hast bestimmt gedacht, es liefe auf einen flotten Dreier hinaus.«
Escolano, Sohn eines Anwalts, der seine Mandanten ausnahmslos im Anzug empfing, fühlte sich beschämt und fehl am Platz, wie ein Eindringling. Nicht einmal einen Hotelangestellten hätte man so empfangen. Aber er wusste nicht, was er tun sollte, seine Verwirrung – oder Scham – lähmte ihn. Er bemerkte, dass Erasmus dem Mädchen ein Zeichen gab, sie solle sich ins Bad verziehen, dann fasste er ihn am Arm, führte ihn in den Salon und schloss die Tür.
»Nun ja, es wäre wohl besser gewesen, Sie unten warten zu lassen, aber andererseits, was soll’s. Es ist gut, wenn Sie mich direkt kennenlernen. Das Leben ist dazu da, um es zu genießen, mein Freund. Denn irgendwann ist die Garantiefrist abgelaufen und eine Verlängerung gibt es nicht. Na ja, das ist zumindest meine Meinung, ich weiß nicht, ob Sie auch so denken.«
Escolano schwieg. Er sah den Mann an, der ihn anheuern wollte. Erasmus war nicht mehr der Jüngste, was nicht weiter wunderte, wenn er ein Mandant seines Vaters gewesen war. Er schätzte ihn auf etwas über sechzig, aber er war bei bester Gesundheit und sehr gepflegt. Das sah man an dem muskulösen Körper, seinen wachen Augen, und am Glanz seiner Haut, die aussah, als käme er gerade aus einem Schönheitssalon. Aber auch an dem Speck auf seinen Hüften – das offensichtliche Ergebnis vom Verzehr der besten Langusten des Kantabrischen Meeres und dieser kleinen Zicklein, denen nicht einmal Zeit gelassen wird, Gras zu kosten. Nur die Milch ihrer Mütter.
Und wie Escolano sich das Leben sonst noch versüßte, war sowieso unübersehbar.
Erasmus, dachte der junge Anwalt kühl, war in dem Alter, in dem es mit dem Sex eigentlich langsam nachließ. Aber auf diese Weise konnte ein anspruchsvoller reicher Knacker noch einmal alles aus sich herausholen.
Endlich brachte er seinen Protest über die Lippen:
»Normalerweise suche ich meine Mandanten nicht in ihrem Büro oder im Hotel auf«, sagte er.
»Ach, das sollte man nicht überbewerten. Außerdem haben Sie es doch selbst angeboten.«
»In der Tat, es war die einzige Möglichkeit, das Verfahren abzukürzen, denn Sie meinten ja, die Angelegenheit sei sehr eilig«, sagte Escolano und dachte daran, wie froh er war, Erasmus nicht sein armseliges Büro zeigen zu müssen.
»Das stimmt, und deshalb legen wir besser gleich die Karten auf den Tisch. Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, hat Ihr Vater mir in einer schrecklichen Lage geholfen. Einer lebensbedrohlichen Lage, wie es sie früher noch gab. Heutzutage drohen einem zwanzig Jahre Gefängnis, aus denen dann tatsächlich zehn werden, früher drohte einem der Henker. Wie auch immer, es war ein richtig dickes Problem. Und Ihr Vater hat mich rausgepaukt.«
Escolano fragte sich, warum sein Vater ihm nie von diesem Fall und diesem Mandanten erzählt hatte. Es war doch ein Erfolg für ihn gewesen. Ob er sich geschämt hatte, ihn verteidigt zu haben? Kann einen Anwalt am Ende das Gefühl beschleichen, er habe seinen Mandanten gerettet, aber die Gesellschaft verraten? Fühlt man sich dadurch am Ende sogar schmutzig oder schuldig?
Er hätte
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