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Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman

Titel: Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francisco Gonz lez Ledesma
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ohne Zeitungen, ohne alles. Nur die angsterfüllten Gesichter seiner Eltern, die in einer anderen Welt zu leben schienen.
    »Sie schulden meinem Vater großen Dank«, stammelte er. »Als er Sie verteidigte, befand er sich in einer furchtbaren persönlichen Krise.«
    »Wie auch immer, er hat es sehr gut gemacht«, erinnerte sich Escolano. »Ich wusste vom ersten Moment an, dass der Antrag des Staatsanwalts nicht erfolgreich sein würde, denn die Todesstrafe war gerade abgeschafft worden und ihr Vater war einer ihrer Gegner. Ich weiß, Herr Anwalt, es ist eine endlose Diskussion: die Resozialisierung des Schuldigen geht vor, die abschreckende Wirkung ist wichtig, der Henker verhindert weitere Verbrechen, es gibt nur einen weiteren Toten. Es heißt, niemand habe das Recht, einen anderen zu töten. Aber das Volk fragte sich: »Und mit welchem Recht hat der Mörder getötet?« Und die Gegner sagten im Kongress zu den Angehörigen des Opfers: »Ihr wollt nicht Gerechtigkeit, sondern Rache.«
    Verdammt, Anwalt, ich weiß nicht, ob Sie Lust haben, darüber zu diskutieren. Ich habe es während des Prozesses Tag und Nacht gehört. Später habe ich die Gesetze verschlungen, bis selbst meine Eier die Form eines Buches annahmen. Es ist, wie es ist, verdammt. Ein Jahr zuvor hätte man mich hingerichtet, zu diesem Zeitpunkt eben nicht. Ihr Vater hat zwei mildernde Umstände angeführt: verminderte Schuldfähigkeit, weil ich verwundet war und das Verbrechen zudem unter dem Einfluss von Alkohol begangen hatte. Ja, ich hatte mir einen hinter die Binde gekippt, um mir Mut anzutrinken, und hatte Alkohol im Blut. Aber wer konnte schon sagen, ob ich es mit Absicht getan hatte oder nicht. Zwanzig Jahre also, auch weil letztlich nie geklärt werden konnte, ob mein flüchtiger Kumpel oder ich den Wachmann getötet hatte … Zwanzig Jahre sind kein Scherz, Anwalt. Vor allem dann nicht, wenn die Mitgefangenen erfahren, dass du ein Kind getötet hast, und sie dich zu viert festhalten, um dir den Arsch aufzureißen. Aber ich habe Geld verteilt, und so gab man mir eine Zelle mit einem zahmen Zeitgenossen, dem ich dann den Arsch aufgerissen habe. Na ja, ganz so schlimm war es auch wieder nicht, das dürfen Sie nicht von mir denken. Es war schrecklich, ich durfte nur eine Stunde auf den Hof hinaus, und nur allein. Alleine duschen, alleine scheißen. Dreiundzwanzig Stunden mit dem Arschgefickten und sonst niemandem. Sie wissen nicht, was das heißt. Ein Jahr später wurde ich verlegt. In dem neuen Gefängnis konnte ich mit Geld verhindern, dass die Details des Verbrechens in die Akte aufgenommen wurden, und so erfuhr niemand etwas davon. Ein Mord ist nichts weiter als ein Mord. Und von da an ging es mir gar nicht so übel.«
    Er öffnete die Arme, und auch sein Mund öffnete sich zu einem breiten Grinsen, dann fügte er hinzu:
    »Die damalige Strafvollzugspolitik war von Idealisten gemacht, Engeln geradezu. Man nannte uns nicht einfach ›Gefangene‹, sondern ›Gefangene der gesellschaftlichen Bedingungen‹. Die Gesellschaft war schuld. In den Gefängnissen wurdest du von den Mithäftlingen vergewaltigt oder aufgehängt, aber die Direktoren hatten keinen blassen Schimmer davon. Und damit es keine Revolte gab, wurde die Möglichkeit geschaffen, mit Besuch unter vier Augen zu reden. Sehen Sie, Anwalt, ich würde lügen, wenn ich sagte, dass es mir schlecht ging. Die Zeit verging viel schneller, als ich geglaubt hatte. Man gewöhnt sich an alles.«
    Escolano murmelte mit einer Stimme, die nicht die seine zu sein schien:
    »Sie hatten wahrscheinlich Geld …«
    »Klar.«
    »Wo kam das her?«
    »Von meinem geflohenen Kumpel, Omedes. Der hatte sich die Beute vom Überfall geschnappt, mit der Kohle hattest du für den Rest deines Lebens ausgesorgt. Eine Zeit lang, die allerdings nicht lange währte, schickte er mir über Mittelsmänner Geld, um mir zu zeigen, dass er in Sicherheit wäre und mich nicht verpfeifen würde. Aber von jetzt auf gleich stellte der Mistkerl die Zahlungen einfach ein.«
    »Er wird es wohl leid gewesen sein«, sagte Escolano.
    »Verdammter Wichser, natürlich war er es leid. Er war es leid, nicht alles für sich haben zu können. Nun, das Geld linderte die ersten Nöte und ermöglichte es mir, die wichtigsten Vergünstigungen zu erhalten. Drogen war das Stichwort. Ja, Sie haben richtig gehört, Drogen. Jeder intelligente Mensch weiß, dass man seinen Anwalt nicht anlügen darf, denn wenn er im Nebel stochert, werden die Dinge nur

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