Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
seinen Vater jetzt gerne hier gehabt, um ihm diese schreckliche Frage stellen zu können.
Aber er war nicht da.
Aber darüber konnte er jetzt nicht nachdenken. Er hörte Erasmus, der sich kein bisschen schuldig zu fühlen schien, sagen:
»Es tut mir leid, Ihnen gestehen zu müssen, dass ich Ihren Vater nicht verstanden habe. Ich begreife nicht, warum zum Teufel einer seinen Job macht und dann nicht seinen Vorteil daraus zieht. Ich hatte damals ein wenig Geld, zumindest genug, um seine Dienste zahlen zu können, aber er weigerte sich, von mir Geld anzunehmen, und er hat mir nie gesagt warum. Ich kann es nicht verstehen.«
»Ich schon.«
»Was?«
»Ich sage, ich verstehe ihn sehr wohl.«
»Ich möcht Ihren Vater nicht beleidigen, aber es gibt eben dumme Anwälte und schlaue.«
»Dann frage ich mich, warum Sie ausgerechnet mich angerufen haben.«
Erasmus winkte geduldig ab, wie ein Lehrer bei einem Schüler, von dem er weiß, dass er schwer von Begriff ist.
»Escolano, mein Freund, ich werde Ihnen alles haarklein erklären, denn ich weiß genau, was ich tue. Ich wollte Ihren Vater aufsuchen, weil er der Einzige ist, der womöglich noch im Besitz von Dokumenten und Kontaktdaten ist, die ich brauche. Ihr Vater ist nicht mehr da, aber Sie. Sie können mir diese Informationen beschaffen.«
Erasmus machte eine kurze Pause. Auf der anderen Seite der Wand hörte man die Dusche rauschen, unter der die Frau stand, die Hostess, die Begleiterin, das Mädchen. Escolano stellte sich ihre Haut vor, die Haut einer zweisprachigen Sekretärin, der man eines Tages einen Minirock, ein Bündel Geldscheine, einen Hoffnungsschimmer und etwas Sündiges angeboten hatte. »Schönes Kind, du musst nicht so viel arbeiten und auch nicht zwei Sprachen beherrschen. Die Sprache der Liebe reicht, um dir deinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Er stellte sich vor, wie das Wasser auf Ihre Haut prasselte, mit dem sie die Küsse, die grapschenden Pranken, den Speichel, die Überraschung, den Ekel, wegwaschen wollte.
»Sie ist zickig«, hatte Erasmus gesagt.
Und jetzt redete er weiter:
»Ich weiß, dass es Anwälten freisteht, einen Fall anzunehmen oder nicht, aber ich versichere Ihnen, meine Angelegenheit wird niemandem schaden, und ich werde Ihnen Geld geben. Ich hoffe, dass Sie nicht zur Spezies der dummen Anwälte gehören. Sehen Sie, ich hatte in meinem Leben schon mit vielen Menschen zu tun, und Ihnen sehe ich an, wie viele Dinge Sie noch überraschen. Verdammt, Sie sind ein erwachsener Mann, Sohn eines Anwalts, und alles, was ich Ihnen erzählen werde, liegt viele Jahre zurück, einen Haufen Jahre. Es geschah während der politischen Wende nach der Francozeit, denken Sie nur, als diese hübsche Verfassung ausgearbeitet wurde, voller Lügen und Poesie, wie alle Verfassungen. Fazit: Es ist Geschichte. Und die Vergangenheit erschreckt niemanden mehr. Also hören Sie mich zumindest an, das schadet doch nicht.«
Escolano biss sich auf die Lippen.
»Ich höre«, murmelte er.
»Nun, also, ein Kumpel und ich haben einen Überfall gemacht.«
»Einen … Überfall.«
»Ja, einen Banküberfall, Mensch, das ist doch nicht so schwer zu verstehen. Verzeihung, aber ihr Anwälte setzt manchmal ein Gesicht auf, das haut einen einfach um … Also … Ein Überfall, sagte ich, mit echten Waffen, Militärpistolen, von denen gab es damals genug. Als wir hineingingen, stellte sich uns der Sicherheitsmann in den Weg, er wollte den Helden spielen, und wir mussten ihm das Hirn wegpusten. Es gab einen Mordsaufruhr, und in nur einer Minute, keine Ahnung wie, stand die Polizei auf der Matte. Immer kommen sie zu spät, doch diesmal – direkt vor der Tür.«
Escolano sagte leise:
»Raubmord. Nach der früheren Gesetzgebung stand darauf die Todesstrafe.«
»Zitieren Sie nicht aus dem alten Strafgesetzbuch, das kenne ich besser als Sie. Ich hatte jahrelang Zeit, es zu studieren. Außerdem ist das jetzt auch Geschichte. Also verschonen Sie mich mit dem alten Kram und lassen Sie uns reden. In einem Punkt haben Sie Recht: Wenn damals die Polizei auftauchte, Vorsicht mit Schüssen. Wenn du einen Beamten tötetest, warst du erledigt: Kein halbes Jahr und du fandest dich vor dem Henker wieder.«
Der Anwalt schloss für einen Moment die Augen. Wie oft hatte er mit seinem Vater über dieses Thema gestritten, als er noch Jurastudent war. Warum kam man, wenn man einen wehrlosen Menschen tötete, um die Würgeschraube herum, aber nicht, wenn man einen Polizisten
Weitere Kostenlose Bücher