Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
alten Beine spielen da nicht mehr mit. Bei dem Tempo muss ich mich hinsetzen und dich übers Handy befragen.
Méndez, ein guter Beobachter der Kultur des Landes, stellte fest, dass Mabel noch wohlgeformte, feste Waden hatte und sich auf hochhackigen Schuhen bewegen konnte, eine alte, den konservativen Klassen vorbehaltene Kunst. Die Schenkel müssen göttlich sein, dachte Méndez, obwohl er, um die Wahrheit zu sagen, es schon seit einiger Zeit nicht mehr mit echten, sondern nur noch mit Laborschenkeln zu tun hatte, nämlich denen aus dem Fernsehprogramm.
Die Entscheidung ist gefallen. Tut mir leid, Mabel, aber du und ich müssen uns ein wenig unterhalten, und es muss jetzt sein, Donnerwetter, jetzt, denn wenn ich bei dem Tempo noch zwei Blocks weiterlaufe, muss ich den Notarzt rufen. Also, bitte, Mädchen, lass dich, noch bevor die Ampel auf Grün schaltet, von der Klaue des Gesetzes berühren und dreh dich um.
»Verzeihung, aber ich tue das zu Ihrem Besten. Noch zehn Schritte weiter und Sie müssen mich von Mund zu Mund beatmen. Ich bin Polizist, oder ich war es, und mein Name ist Méndez.«
Das Café war funktional eingerichtet, wie fast alle in den schnelllebigen Vierteln: wenig Platz, ein Tisch neben dem anderen, eine Theke mit Hockern für sieben Hinterteile, eine Reihe spanischer Marken, zwei italienische Wermuts und eine kolumbianische Kellnerin. Im hinteren Bereich die Toilettentüren mit den typischen Schildern: eines mit einer Frau, zweifellos Madame Pompadour, und eines mit einem Kerl, zweifellos Lord Byron.
Ein schlechter Ort für Méndez, der an die in der Zeit verlorenen Cafés gewöhnt war, in denen nie jemand auf die Uhr schaute, und wo ein Gast vor seinem Tod immer noch von der Oktoberrevolution sprach.
»Das einzig Gute an diesem Café ist, dass es schnell zu erreichen war. Aber Sie können gehen, wenn Sie wollen. Ich habe kein Recht, Sie zurückzuhalten.«
»Ich weiß, aber ich habe schon so viel Geduld mit der Polizei gehabt, da kommt es auf das bisschen auch nicht mehr an. Aber übertreiben Sie es nicht.«
»Das würde ich nie tun, vor allem nicht bei einer Frau wie Ihnen, mit der ich nur ein paar Eindrücke austauschen will. Sagen Sie mir, was Sie trinken möchten.«
»Um diese Zeit einen Espresso.«
»Ich nehme einen einfachen Orujo, wenn sie so etwas haben. Schauen Sie sich das hier bitte an.«
Das erste Foto, alt und streng polizeilich, vom Erkennungsdienst. Ein Kerl mit ungekämmtem Haar, von vorn und im Profil. Ein weißer Hintergrund, der immer noch nach Putzmittel zu riechen schien. Eine Verbrechervisage, in der man jedoch Intelligenz, Verschlagenheit und im Grunde eine gewisse Eleganz erkannte.
Mabel betrachtete es argwöhnisch.
»Wer ist das?«
»Leónidas Pérez, ein Bankräuber, der verurteilt wurde, seine Strafe mit vielen Vergünstigungen abgesessen hat und freikam. Er kann nicht zweimal für dasselbe Verbrechen verurteilt werden, Sie schaden ihm also nicht, wenn Sie über ihn sprechen. Sagen Sie mir, ob Sie ihn je im Leben gesehen haben.«
»Und warum hätte ich ihn sehen sollen?«
»Verzeihung, aber Sie haben viele flüchtige Begegnungen gehabt.«
»Schon lange nicht mehr. Und wenn Sie vorhaben, mich zu beleidigen, dann können Sie gleich von diesem Stuhl aufstehen, natürlich nachdem Sie bezahlt haben.«
»Ich würde eine Frau wie Sie nie beleidigen, Mabel. Letzten Endes sind Sie Teil des Leidens des Volkes. Ich wollte damit nur sagen, dass Sie eine Frau sind, die etwas von der Welt gesehen hat. Und jetzt sehen Sie sich bitte dieses zweite Foto an.«
Wieder ein Gesicht von vorn und im Profil. Wieder ein weißer Hintergrund, wieder eine Nummer oben, die aussah wie von der Lotterie. Wieder eine Verbrechervisage, doch in dieser konnte man keine Spur von Kultiviertheit und natürlich auch keinen Funken Eleganz entdecken.
»Und wer ist das?«
»Er heißt, oder besser gesagt, er hieß Sebastián Omedes. Er war der Komplize von Leónidas bei dem Banküberfall, bei dem ein Wachmann und ein Kind umkamen. Der wurde nicht gefasst, aber er hatte ein Strafregister, das einmal um den ganzen Block reicht. Jahrelang war er Millionär, denn es war ihm gelungen, mit der Beute zu fliehen, aber am Ende wurde er wegen einer offenen Rechnung erledigt. Wenn Sie etwas für Leckerbissen übrig haben, kann ich Ihnen auch das Foto zeigen, das man im Leichenschauhaus von ihm gemacht hat.«
»Das ist nicht nötig.«
Mabels Blick war angewidert und zugleich verwirrt.
Méndez
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