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Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman

Titel: Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francisco Gonz lez Ledesma
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flüsterte:
    »Als Sie sehr jung waren, verkehrten Sie im Etablissement von Madame Ruth, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ich werde nicht weiter nachfragen.«
    »Umso besser.«
    »Ich spreche mit Ihnen, Mabel, weil ich mir in vielem so unsicher bin. Darin unterscheide ich mich von meinen Kollegen, die sich immer in allem vollkommen sicher sind. Von den Politikern ganz zu schweigen.«
    »Wie wahr.« Mabel trank ihren Kaffee aus. »Sie glauben, sie haben die Wahrheit für sich gepachtet.«
    »Klar, sie haben die meisten Überzeugungen. Wenn das Volk sich nicht mehr an sie erinnert, warten sie damit auf. Es gibt sogar welche, die zu wissen glauben, was Freiheit und Gerechtigkeit ist. Sie müssen es ja wissen, denn ihre Reden sind voll von diesen Worten. Aber die finde ich weniger gefährlich als die anderen. Die, die genau zu wissen glauben, was das Vaterland ist.«
    »Ich bin ja ganz Ihrer Meinung, Méndez, aber sagen Sie mir, was Sie von mir wollen, bevor ich an dem Kaffee sterbe. Das ist so ziemlich das Schlechteste, was ich je getrunken habe.«
    »Einverstanden. Also ich werde Ihnen ein Foto zeigen, das ein Hobbyfotograf gemacht hat, der schon fast ein Profi sein könnte, so gut ist es. Der Hobbyfotograf hat es an eine Zeitung verkauft, und der, der im Archiv dieser Zeitung arbeitet, ein Kerl namens Amores, hat mir eine Kopie gegeben. Es ist an der Haltestelle Paseo de Gracia aufgenommen, an einem Tag, an dem sich mindestens ein Todesfall hätte ereignen können. Da sind Sie drauf. Sie helfen dabei, einen Mann von den Gleisen zu ziehen, der seinerseits ein Kind von den Gleisen gezogen hat.«
    Das Grau von Mabels Augen wurde noch tiefer, als sie auf das Foto blickten. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass es existierte. Der harte Zug um den Mund veränderte sich: Die Lippen wölbten sich und zeigten so etwas wie aufkeimendes Glück.
    Sie antwortete nicht.
    ›Ich, Mabel, antworte dir nicht, Méndez, du alter Polizist, denn du würdest mich nicht verstehen, du hast keine Kinder. Ich ja auch nicht, also verstehe ich mich selber nicht. Aber die Jahre haben mich gelehrt, nicht mit dem Herzen zu denken, denn es trügt dich immer, und auch nicht mit dem Kopf, denn es gibt immer andere, mächtigere Köpfe. Ich habe gelernt, mit dem Bauch zu denken, denn der Bauch trügt nicht, er gehört mir.‹
    Méndez trank seinen Orujo aus und sie den Kaffee.
    Er fixierte sie immer noch mit dem Blick.
    Und Mabel dachte weiter, nur jetzt laut.
    »Méndez, Sie haben ja keine Ahnung, was ich fühle, aber das ist gleich, denn Sie würden mich sowieso nicht verstehen. Sie werden nie begreifen, dass ich auf absurde Weise ein dreijähriges Kind als mein eigenes empfunden habe, das ich nie gesehen, aber wiedererkannt habe – auch wenn Sie das jetzt wieder nicht verstehen –, und zwar im Gesicht eines Mannes. Im Gesicht dieses Mannes war der Tod, als er das andere Kind davor rettete, vom Zug überrollt zu werden. Ich weiß es, weil in seinem Gesicht plötzlich dieses andere Kind war. Sie verstehen nicht, was ich empfand, als ich später diesen Mann weinen sah, denn ich habe die Männer nie weinen, sondern immer nur kommen sehen. Sie werden auch nicht verstehen, dass ich diesem Mann das Leben wiederschenken wollte, auch wenn das vergebens war, denn sein Leben war in einer Grabnische eingemauert. Aber vielleicht verstehen Sie, dass ich es ihm auf die einzige Art schenken wollte, auf die ich mich verstehe, denn, wie gesagt, Frauen wie ich gehen nach dem Bauch. Aber ich wusste, auch das würde nicht helfen. Also sah ich ihn nur an und streckte ihm die Hand hin, und das half sehr wohl, denn David Miralles merkte, dass jemand ihm beistand.«
    Méndez bestellte bei der kolumbianischen Kellnerin noch einen Orujo, obwohl der erste scheußlich geschmeckt hatte. Der kam bestimmt vom Land, aber aus einem Dorf in Kolumbien.
    »Treffen Sie David Miralles noch?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Sind Sie inzwischen ein Liebespaar?«
    »Sie haben kein Recht, das zu fragen, aber ich sage es Ihnen: Nein.«
    »Aber vielleicht habe ich ein Recht, Sie zu fragen, ob Sie ihn lieben, Mabel. Ich sage das, weil diese Frage sogar im Fernsehen gestellt wird.«
    »Das beantworte ich mit Ja.«
    »Ich habe den Eindruck, es beruhigt Sie, das zu sagen.«
    »Das zu sagen gibt mir Halt im Leben. Das ist komisch für mich, denn ich habe mich nie getragen gefühlt.«
    »Wenn Sie ihn lieben, dann haben Sie ja mitbekommen, dass er mit einer anderen Frau zusammenlebt und dass diese Frau jung und

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