Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
besagter Erasmus fort, »dass es sich immer noch um eine bedeutende Kanzlei handelt.«
»Selbstverständlich. Warum sollte dem nicht so sein?«
»Weil Sie selbst das Telefon abgenommen haben und nicht Ihre Sekretärin.«
Escolano biss sich vor Wut auf die Unterlippe. Aber es stimmte: Sein Vater hatte zwei Sekretärinnen und einen Bürovorsteher gehabt, und er hatte niemanden. Obwohl, am Ende seines Lebens hatte sein Vater auch niemanden mehr gehabt. Mit der Scheidung waren die Illusionen, die geregelte Arbeit, die Aufmerksamkeit gegenüber dem Personal, die Girokonten, einfach alles den Bach hinuntergegangen. Ein Mann muss das Gefühl haben, für etwas zu arbeiten, und in den letzten Jahren hatte sein Vater nicht mehr gewusst, wofür er es tat. Und heute ging es dem Sohn genauso. Doch dieser Sohn, mürbe von der Last der Jahre, murmelte: »Ich stand zufällig direkt neben dem Telefon, als es läutete. Meine Kanzlei ist bedeutend. Und überhaupt steht es Ihnen nicht zu, das zu beurteilen.«
»Nun, das habe ich damit auch nicht sagen wollen. Ihr Vater war ein bedeutender Mann, verstehen Sie mich richtig, ein bedeutender Anwalt. Er hat mich aus einem großen Schlamassel herausgeholt, und ich konnte ihn nicht bezahlen, aber jetzt haben sich die Dinge geändert, und ich könnte Sie großzügig entlohnen, wenn Sie … wenn Sie mir helfen.«
»Wir Anwälte sind dazu da, um zu helfen«, sagte Escolano ausweichend, »aber es wäre besser, wenn Sie mir vorab sagten, sofern das am Telefon möglich ist, aus welchem Schlamassel Sie mein Vater herausgeholt hat.«
»Natürlich kann man das am Telefon sagen … Das ist eine halbe Ewigkeit her, damals gab es noch die Todesstrafe, das war 1976, kaum mehr vorzustellen – und außerdem ist das Urteil rechtskräftig. So sagt man doch, nicht? Rechtskräftiges Urteil. Niemand kann mich mehr anklagen … Also Ihr Vater hat mich vor der Würgschraube bewahrt. Aber so schwierig war das damals auch nicht mehr, man war gerade dabei, die Verfassung zu ändern, und wie Sie wissen, wurde die Todesstrafe abgeschafft. Aber er hat sich wacker geschlagen, wacker. Also hören Sie, so seltsam Ihnen das vorkommen mag, aber wir müssen uns treffen. Es wird sich für Sie lohnen.«
»Es wird sich lohnen …« Genau diesen Satz hatte Escolano in der letzten Zeit so vermisst. Trotzdem musste er sich zwingen, freundlich zu klingen, als er fragte:
»Was für ein Verbrechen haben Sie begangen? Ich gehe davon aus, das können Sie mir sagen, wenn das Verfahren abgeschlossen ist.«
»Aber selbstverständlich. Ich weiß nicht, wie alt Sie sind, aber ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Ihr Vater Ihnen nie von meinem Fall, dem Erasmus-Fall, erzählt hat, denn mit Sicherheit hat er in seinem ganzen Leben keinen Fall wie diesen gehabt. Wie dem auch sei, die Zeitungen haben damals viel darüber berichtet, auf allen Seiten. Das war ein großartiges Schauspiel, und es gab hitzige Debatten bei den Gerichten, Mann. Ich habe bei einem Überfall ein Kind getötet. Ein dreijähriges Kind und einen Wachmann.«
9
So, erledigt, Méndez, jetzt hast du alles beisammen. Jetzt musst du den Schuldigen nur noch verhaften, und das kannst du gleich heute Nachmittag tun. Aber es wird so sein wie immer, Méndez, wenn du etwas tun sollst, machst du es nicht.
Wie immer hast du schlecht gegessen. In diesem Viertel – an dem du allmählich Gefallen findest – gibt es viele Kneipen, in denen man sich schnell etwas zwischen die Kiemen schieben kann, alle winzig klein, aber zum Ausgleich gibt es ein riesiges, majestätisches Hotel, das França, für die schnelle Nummer. Du meinst, die Leute vögeln mehr als früher, Méndez? Dieses Hotel, so kommt es dir vor, müsste mindestens doppelt so groß sein. Und wer weiß, vielleicht ist der ein oder andere Gast darin vergessen worden. Einmal musstest du dort eine Verhaftung durchführen, in längst vergangener Zeit, und du hast ganz schön Ärger gehabt, denn in einem der Zimmer lag die Frau des Chefs.
Doch du hast das üppige Mal vertilgt: hausgemachte Vorspeisen, hausgemachte Albóndigas, hausgemachter Flan, Wein des Hauses. Die Hackbällchen waren dir nicht geheuer. Aber da in der letzten Zeit kein Gast der Kneipe spurlos verschwunden ist, muss das Rohmaterial wohl von woanders her stammen. Und weil die Ermittlungen ein voller Erfolg zu werden scheinen, gönnst du dir eine Belohnung: »Bringen Sie mir einen Kaffee und einen Cognac, die Hausmarke.«
»Sie sind ein Kenner, mein
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