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Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman

Titel: Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francisco Gonz lez Ledesma
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die Volksküchen Barcelonas immunisiert, die so viel für die eheliche Eintracht getan haben. Der Mann isst schlecht in dem einen Viertel, und die Frau isst schlecht in einem anderen, und so streiten sie sich nicht. Wenn es Nacht wird, schlafen beide vor zwei verschiedenen Fernsehern ein, weil dem einen das Programm des anderen nicht gefällt. Und so streiten sie sich auch nicht, und beide ruhen in einer Art toxischer Wolke.«
    »Nun, mit den preisgünstigen Gerichten ist es bald vorbei, Señor Méndez, die Preise steigen, weil die Leute nichts anderes mehr als Essen im Kopf haben. Die Leute glauben nicht an die Politiker, aber wenigstens an ihre Chefs, und das bringt uns eine Epoche der Stabilität und Eintracht. Soweit man weiß, hat kein Chef je einen Bürgerkrieg angezettelt, oder schlecht über den Präsidenten der Cortes geredet, und das will schon was heißen. Wenn das Land ein glücklicher Speisesaal sein wird, und die Leute sich nur noch darum streiten, wo man besser isst, dann ist das Ende aller Probleme, allerdings auch das Ende der Geschichte gekommen.«
    Méndez konnte dem nur zustimmen, vielleicht weil er noch in den Überresten der toxischen Wolke hing.
    »Es gibt immer noch viele Menschen, die schlecht essen, Señor Méndez«, sagte der Wirt, »wie Sie ja selbst gerade aufgezeigt haben, die nur an den Innereienständen kaufen, die früher ein Teil der gastronomischen Kultur unseres Volkes waren. Heute ist das Proletariat fast verschwunden, das von der Revolution träumte, nur um einmal in den Genuss eines Beefsteaks zu kommen. Dafür gibt es jetzt das Proletariat der Immigranten, die beweisen, wie gerecht und vollkommen die Welt geworden ist. Die soziale Revolution wird von ihnen ausgehen, wenn sie einmal mehr sind als wir, also ist es dringend notwendig, dass sie gut essen und an einen Chef anstelle von Mohammed glauben. Die Küche ist heutzutage der Volksgeist, Señor Méndez, und wir haben den Zustand der Vollkommenheit schon fast erreicht: Niemand kennt mehr die Verfassung, aber den Guide Michelin , den kennen die Leute.«
    Nach dieser beruhigenden Rede genehmigte sich der Herr Vorruheständler ebenfalls einen Cognac. An den ökologischen Likör wagte er sich nicht mehr heran.
    »Möchten Sie noch etwas trinken, Señor Méndez? Sie wissen ja, geht aufs Haus.«
    »Nein, vielen Dank. Der Cognac reicht, um die Algenpaella zu verdauen.«
    »Und wie wär’s mit einer Havanna? Ich habe kürzlich zwei geschenkt bekommen, aber meine Frau lässt mich nur eine rauchen.«
    »Ich versuche gerade mit dem Rauchen aufzuhören, mein Freund, denn wenn das so weitergeht, wird man auf uns Raucher noch das franquistische Gesetz gegen Bandentum und Terrorismus anwenden. Aber danke für das Angebot.«
    »Sie machen einen Fehler, sie abzulehnen, Señor Méndez. In einer Welt, in der alles maschinell gefertigt wird, bleiben nur noch zwei Dinge, die ausnahmslos Handarbeit sind: die Havanna und das Wichsen.«
    Méndez nickte, und der Vorruheständler fügte hinzu:
    »Natürlich hat meine Frau mir auch das Wichsen verboten.«
    Méndez dankte und ging hinaus.
    »Warum haben Sie es denn auf einmal so eilig? Haben Sie plötzlich Arbeit?«
    »Ja«, erwiderte Méndez von der Tür aus. »Ich muss einen Kranz kaufen.«
    »Es gibt also einen Toten«, sagte der Vorruheständler leise, »oder Méndez ist so wohlerzogen, einen Kranz zu kaufen, bevor er jemanden tötet.«
    Es handelte sich nicht um einen Toten, sondern um eine Tote. Die Frau lag beim Bestatter in der Sancho de Ávila, doch von dort würde sie eine halbe Stunde später vertrieben werden, weil ein anderer Toter auf seine Chance wartete. Encarna, die alte Straßenhure, die alles für ihren Sohn getan hatte, hätte sich weder die Beerdigung noch die Aufbahrung leisten können, aber ein paar Kolleginnen hatten zusammengelegt, Münze für Münze. Sie waren alle da, fünf im Schweigen vereinte Schatten, und begleiteten Encarna ein letztes Mal. Alles sehr tröstlich, dachte Méndez, aber es fehlte der Sohn.
    Sie hatte alles für ihn getan, und er war nicht da.
    Sie legten den von Méndez spendierten Kranz nieder. Auf der violetten Schleife stand: »Friede den Frauen mit gutem Willen.«
    Méndez hatte Encarna kennengelernt, als sie auf der Ronda de San Antonio unterwegs war, ein kleinbürgerlicher Ort, wo die Großväter den Straßenbahnen Namen geben und die Enkel ein japanisches Handy kaufen. Und er hatte es geschafft, für ihren Sohn einen kostenlosen Schulplatz zu

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