Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
wissen müssen, aber für dich, David Miralles, der du verloren bist in deinen Erinnerungen, folgt das Leben keinen logischen Regeln mehr. Für dich ist sie ein leicht einfältiges Mädchen, das dir hilft, nichts weiter. Das Mädchen.
Und heute hättest du es mehr denn je merken müssen, denn Eva hat einen trüben Blick. Nur Frauen, die gelebt haben, haben einen trüben Blick. Die Jahre bereichern den weiblichen Blick, und das nicht immer zum Guten.
Eva Expósito hatte also einen trüben Blick und saß provokativ da. Vielleicht merkte sie es nicht, weil sie mit ihrem Kopf woanders war. Ihr Kopf war nicht da, aber ihr Geschlecht, und David betrachtete sie mit einem gewissen Erstaunen, als wäre es das erste Mal.
»Ich dachte, du hättest Dienst«, sagte sie mit warmer Stimme.
»Nein. Ich hatte frei, das ist normal, einen Verletzten kann man nicht mal für die Revision gebrauchen. Aber ich werde bald mit der Reha anfangen.«
»Das dachte ich mir schon.«
Eva seufzte tief und stellte die Beine wieder nebeneinander. Sie trug nie Hosen, wie das heute viele Frauen tun, und das aus einem einfachen Grund. Je kindlicher sie wirkte, desto weniger würde jemand auf den Gedanken kommen, dass sie die Wächterin war. Dann rückte sie näher an den Tisch.
»Vor zwei Tagen, ich weiß nicht mehr genau wann«, erklärte sie, »bin ich an deiner früheren Wohnung vorbeigekommen. Ist es schon lange her, dass du dort warst?«
»Na ja … ziemlich. Bestimmt haben der Besitzer oder seine Erben das Haus längst verkauft.«
»Du lügst, David. Und ohne Notwendigkeit, denn ich kontrolliere dich nicht.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Eva.«
»Ich habe nicht vor, mich in dein Gefühlsleben einzumischen, wenn es da eins geben sollte. Aber jetzt, da wir beide in Gefahr sind, müssen wir vorsichtig sein. Es ist nicht gut, wenn du dich einer Frau an den Hals wirfst, die du nicht kennst.«
David ließ den Blick durch den kleinen Raum schweifen, wollte nicht begreifen und konnte es doch nicht verhindern. Es kam ihm so vor, als ob das Zimmer noch kleiner geworden wäre, als ob kein Körper mehr durch die Tür passte und als ob die hintere Wand auf ihn stürzte. Es hielt es für unmöglich, dass Eva von seinem Treffen mit Mabel wusste, auch wenn Evas Augen das Gegenteil sagten. Evas Augen waren innerhalb einer Sekunde reifer geworden, sie hatte andere, lange Zeit verborgene Augen gefunden.
Anfangs fiel es ihm schwer, das zu verstehen.
Eva war nicht mehr länger das Mädchen.
»Natürlich steht es dir frei zu tun, was du willst«, sagte sie. »Ich weiß, dass du schon einmal mit einer Frau ein Date hattest, aber du hast sie nicht wieder getroffen. Das hat für mich keine Bedeutung. Ich bin auch ein paar Male in der Diskothek gewesen, wie jedes Mädchen in meinem Alter, ohne dass du mich kontrolliert hättest. Aber man hat mich nicht geküsst. Und selbst wenn, hätte das auch keine Bedeutung gehabt.«
Es entstand ein dichtes, undurchdringliches Schweigen, und beiden wurde plötzlich bewusst, dass es schon immer in den Eingeweiden der Wohnung gehaust hatte. Evas Augen spiegelten all die vergangene Zeit.
»Eva, ich habe dir eine harte und gefährliche Aufgabe aufgezwungen.«
»Um mich zu retten.«
»Um aus dir eine Frau zu machen. Ich werde verschwinden, und du wirst weiterleben. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, aber mein Ziel ist es, wenigstens dich zu retten, wenn ich meinen Sohn schon nicht retten konnte. Ich weiß, dass ich damit nichts rechtfertigen kann, auch nicht mich selbst, aber ich werde ruhiger gehen können, wenn ich wenigstens für ein Leben etwas getan habe. Wenn ich weiß, dass du gerettet bist.«
»Lass uns nicht darüber reden.«
Evas Augen waren noch härter geworden, aber plötzlich waren es die vorwurfsvollen Augen einer Frau.
»Worüber reden wir denn?«
»Über unsere Freiheit. Du hast mir nichts aufgezwungen und ich dir nicht, was unser Privatleben angeht.«
»Daran haben wir uns gehalten …«
»Bis jetzt, David. Bis jetzt.«
»Was ist dein Problem, Eva?
»Diese Frau ist nicht die Richtige für dich.«
Nicht die Richtige für mich oder für dich, Eva? Plötzlich steht diese unerwartete und schreckliche Frage im Raum. Denn du bist eifersüchtig, Eva, zum ersten Mal. Denn das Mädchen ist in irgendeiner Zimmerecke gestorben, ohne dass ich es bemerkt hätte, und jetzt ist da die Frau, die das Licht meiner Fenster auch zu dem ihren gemacht hat.
Die Erkenntnis raubte David Miralles den
Weitere Kostenlose Bücher