Der Todesbote
Gefängnisdirektor des Gefängnisses, in dem ich vorher einmal einsaß, wiedererkannte. Er rief die Polizei, und ich wurde erneut verhaftet.«
»Wurden Sie immer von München aus in die Ukraine zurückgebracht?«
»Als ich das erste Mal verhaftet wurde, brachte man mich nach Berlin. Ich hätte dort flüchten können, aber dies hielt ich nicht für notwendig. Beim zweiten Mal wurde ich von München aus direkt nach Kiew gebracht.«
Nach einer kurzen Pause ist Onoprienko wieder bereit, Fragen zu beantworten. Fragen, die ihm offensichtlich besser gefallen. Fast ehrfürchtig faltet er seine Hände wie zu einem Gebet, als man ihn fragt:
»Sie glauben also, dass solche Menschen wie Lenin, Stalin und Hitler als Persönlichkeiten von den Geheimdiensten bearbeitet wurden?«
»Kann wohl sein! Man nannte sie die Mächtigen dieser Welt.
Doch mich geht das alles gar nichts an. Ich bin fast 40 Jahre alt, war niemals reich; selbst alles, was ich jetzt gerade anhabe, gehört nicht einmal mir. Mein Traum war immer, das Geld mit meinen eigenen Händen zu verdienen, zum Beispiel als Kapitän und nicht als einfacher Matrose auf einem Passagierschiff. Sich jemandem unterzuordnen ist nichts für mich. Meinen älteren Bruder verstehe ich auch nicht. Er sagt schon heute das Schicksal seines Sohnes voraus, indem er behauptet, dass sein Sohn nach seinem Studium zur Polizei gehen wird.«
»Doch nun zurück zu Ihnen. Wenn man so hört, welche Wünsche Sie an Ihr Leben stellten, verlief Ihr Leben wohl nicht so, wie Sie es sich erträumten. War das ein Zufall?«
»Nein. Das ist der Einfluss der Mächtigen dieser Welt, die von teuflischen Kräften unterstützt werden. Wie die Erfahrung zeigt, wird die Welt nicht von Gott und guten Kräften regiert, sondern von den bösen und teuflischen. Wir Menschen versuchen zu zeigen, dass in all unseren Beziehungen etwas Gutes ist, aber die Erfahrung zeigt, dass hinter allem, was wir tun, Satan, der Teufel steckt. Der Irak hat Kuwait attackiert und Amerika startet Bombenangriffe auf den Irak, doch niemand mischt sich ein.«
»Würden Sie sich einmischen, wenn Sie dies könnten?«
»Man würde mich für verrückt erklären, würde ich mit ›Ja‹
antworten. Hätte ich jedoch wirklich eine Möglichkeit dazu, ich würde es kompromisslos durchziehen, aber nicht mithilfe der Revolution, sondern etwa so wie Lenin, als man seinen Bruder Alexander hinrichtete.«
Onoprienko macht eine lange Pause. Immer wieder blickt er in die Augen seines Gegenübers. Niemand stellt ihm eine Frage. Da wechselt er das Thema. Verwundert blicken ihn die Beteiligten an, als er plötzlich und völlig überraschend für alle, von sich aus über seine Taten zu sprechen beginnt. Bedächtig fährt er fort: »Im Jahre 1994 habe ich drei Morde vollbracht.
Die nenne ich das Kreuz. Alle Opfer wurden im Gebiet Rowenskaja in ihren Autos auf den verschiedensten Strecken umgebracht. Betrachtet man die Tatorte auf der Landkarte, kann man ein Kreuz, das sich vom Osten, Westen und Norden bis zum Süden der Ukraine mit dem Zentrum in Vastov erstreckt, erkennen.«
»Meinen Sie das christliche Kreuz? Welche Bedeutung hat dies für Sie?«
»Das ist mir selbst noch nicht klar. Hätte ich es gewusst, wäre ich schon nicht mehr am Leben. Ich weiß, dass ich in Deutschland unter Hypnose verhört wurde. Dies geschah im Gefängnis. Ich und meine Kenntnisse sind von großem Interesse für die Geheimdienste. Hätte ich alles gewusst, hätte man mich für seelenkrank erklärt oder ich wäre schon tot.«
»Das erklärt aber nicht die Frage der Bedeutung des christlichen Kreuzes für Sie. «
Onoprienko winkt ab. Der Einwand gefällt ihm offensichtlich nicht, und doch gibt er Antwort: »Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass ich im Zeichen des Kreuzes getötet habe. Ob dies unter Ihrem christlichen Kreuz oder dem universellen Kreuz geschah, werde ich Ihnen nicht sagen. Sie könnten die Tragweite dieses Symbols aus meiner Sicht nicht verstehen.«
»Sie waren sehr oft in Deutschland. Haben Sie auch in Deutschland Menschen getötet?«
»Nein. Nein. Und nochmals nein.«
»Warum haben Sie niemanden in Deutschland getötet, oder weiß man einfach nichts davon?«
»Ich glaube, Sie haben mir nicht zugehört. Nein, in Deutschland habe ich niemanden getötet.«
»Warum?«
»Ich habe schon gesagt, ich mag die Deutschen. Über die Ukraine kann ich das nicht sagen. Ich mag die russische Nation und ihre Sprache lieber als die ukrainische. Die
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