Der Todesbote
Fühlen Sie sich selbst als Mensch?«
»Ja, ich bin ein Mensch. Ich habe verschiedene Emotionen, das habe ich bewiesen. Denken Sie nur an meine Beziehungen zu Frauen. Ich will nicht, dass nach meinem Tod eine Erinnerung an einen grausamen Menschen bleibt. Ich will, dass man die verschiedenen Seiten von mir erkennt, die mich zur Vollkommenheit bringen werden.«
Onoprienko unterbricht die Antwort und kommt noch einmal auf Stalin zurück: »Stalin gefällt mir nicht, er versank in einen Zustand zwischen Yoga und schwarzer Magie. Er saß die ganze Nacht in seinem Sessel, stets in diesen Zustand versunken. Und wenn er endlich aus diesem Sessel aufstand, liefen alle vor ihm weg. Natürlich hatte er eine sehr große Macht. In Wirklichkeit war er jedoch eine Null. Aber er verstand es, seine Untertanen zu erschrecken, und die gaben es an das ganze Volk weiter.«
»Warum haben Sie die Häuser, nachdem Sie die Bewohner getötet haben, nicht sofort verlassen? Sie sind sogar teilweise bis zu vier Stunden am Tatort geblieben.«
»Wie viele Stunden ich dort verbrachte, war ohne Bedeutung.
Ich brauchte diese Zeit zu meiner persönlichen psychologischen Selbstverarbeitung. Jedes einzelne Verbrechen habe ich genauestes analysiert, das heißt, meinen psychologischen Zustand und den meines Opfers. Einmal habe ich fünf Menschen in ihrem Auto umgebracht. Nach dem Mord setzte ich mich zu den Toten in das Auto und fuhr mit ihnen die ganze Nacht durch die Gegend … Ich weiß jetzt sehr genau, wie sich ein Opfer vor und während der Tat verhält. Und ich weiß auch, wie ich mich dabei fühlte.«
»Was ist das für ein Gefühl, einen Menschen zu töten? Was haben Sie dabei empfunden? Freude oder gar Stolz?«
»Keine Freude, vielleicht Stolz darauf, dass ich der erste Mensch war, der seine Taten bis ins Detail analysierte.
Niemand außer mir weiß, was ein Prophet ist. Ich weiß es.
Die Mächtigen der Welt hören einen Propheten und analysieren ihn. Sie vergessen aber dabei, dass man ihm folgen muss. Denn wenn man ihm nicht folgt, verschwindet er. Ein Prophet kann auch grausam sein, aber er kommt zu den Menschen, führt sie, so wie ich dies 40 Jahre lang tat. Wenn er dann sieht, dass die Menschen ihn gar nicht verdient haben, verlässt er sie. Wenn die Menschen nicht auf die wahren Propheten hören, kommen der Satanismus, Faschismus und der Kommunismus.«
»Glauben Sie von sich behaupten zu können, ein Prophet für die heutige Menschheit zu sein?«
»Das wollte ich nicht, aber ich habe so viel Informationen und Erfahrungen in meinem Leben gesammelt und diese geistig, bis ins Detail, für meine Nachwelt analysiert. Es wundert mich nicht, dass man mich nicht als Prophet erkennt. Welcher Prophet wird zu Lebzeiten schon anerkannt? Ich weiß, ein Prophet wird erst nach seinem Weggehen anerkannt. So wird dies auch bei mir geschehen, davon bin ich fest überzeugt.
Nein, ich weiß es ganz sicher – wie viele vor mir.«
»Hat Sie in Ihrem Leben ein Mensch beleidigt? Oder standen Sie über solch menschlichen Unzulänglichkeiten?«
»Eigentlich nicht. Aber mich beleidigt die Tatsache, dass die Menschen, statt nach der Vollkommenheit zu streben, sich immer mehr degenerieren. Unsere Kinder und Enkel werden mit nur zwei Begriffen leben: Liebe und Glaube. Liebe an alles: an Bäume und an Gott. Ich wiederhole! Meine Morde waren eine Impfung. Ich hatte die Erlaubnis einer höheren Macht, zu entscheiden, ob die Menschen weiterleben dürfen oder nicht. Ich lasse es zu, dass es keinen Gott gibt, sondern nur einen Teufel, der uns gut tut, indem er uns betrügt. Deshalb ist der Mensch auch böse.«
»Haben Sie je in ihrem Leben Drogen zu sich genommen?«
»Nein, nie in meinem ganzen Leben habe ich dieses Zeug angefasst. Nachdem Sie mir diese Frage stellen, vermute ich, Sie denken vielleicht, ich sei verrückt. Aber ich kann Ihnen versichern, ich bin absolut normal. Man kann mir vieles vorwerfen, zum Beispiel, dass ich gegen ein Gebot verstieß, das in der Bibel steht und das lautet ›Du sollst nicht töten‹.
Doch ich tat dies nicht für mich. Es war eine unangenehme Arbeit, oft eine sehr schwere Arbeit, die ich zu verrichten hatte.«
»Warum haben Sie immer diese Strickkapuze auf Ihrem Kopf?
Es ist doch gar nicht kalt in diesem Raum.«
»Weil ich mich selbst zum Henker ernannt habe. Und ein Henker hat eine Kopfbedeckung zu tragen. Das war schon immer so. Auch in der Geschichte. Meist mussten diese Vollstrecker sogar ihr Gesicht
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