Der Todesbote
ukrainische Nation ist heute sehr nationalistisch eingestellt. Der Faschismus wird von mir nicht so streng verurteilt wie der Nationalismus. Der Faschismus hat wertvolle Ideen. Das Kreuz war in der Ukraine eine Art Impfung gegen den Nationalismus.«
»Anatolij Onoprienko, zählen Sie sich selbst zu den Mächtigen dieser Welt?«
»Noch bin ich kein Mächtiger dieser Welt. Ich bin noch ein Schüler, aber einer der besten. Meine Lehrer sind ältere Leute, und deshalb achte ich sie auch. Sie brauchen gar nicht zu reden, ich unterhalte mich mit ihnen durch Augenkontakt und mithilfe ihrer und meiner Gedanken. Ich meine nicht die 50-bis 60-Jährigen, sondern die zwischen 70 und 80 Jahre alten Menschen. Man muss nur in ihre Augen sehen, dann kann man ihren frischen Verstand erkennen.«
»Und welche Beziehung haben Sie zu Kindern?«
»Zu Kindern habe ich keinerlei Beziehung, denke aber, dass sie unsere Zukunft sind. Wie sie diese Zukunft meistern werden, ich bin mir da nicht so sicher. Könnte ich nicht wieder kommen und sie lehren, würde es schlecht um diese Welt bestellt sein.
Sie würde sicher untergehen.«
»Sie haben aber auch Kinder getötet. Haben Sie damit nicht auch einen Teil der Zukunft zerstört?«
»Nein. Das war eine Impfung. Es gibt ein Zitat in der Bibel, das ich dazu gerne anmerken möchte. Gott wandte sich an einen alten Mann, einen Vater (Abraham) und sagte: ›Töte deinen Sohn, um deinen Glauben zu beweisen.‹ (Onoprienko zitiert aus dem Alten Testament der Bibel 1. Mose 22 Vers 2.
Abraham wurde von Gott aufgefordert, seinen Sohn Isaak am Berge Moria zu töten.) Und Abraham wollte dies schon tun, doch Gott hinderte ihn daran. Sie sehen selbst, Ihr Gott scheute nicht davor zurück, einem Menschen einen Befehl zum Töten zu geben. Er befahl einem Vater, den eigenen Sohn zu töten.
Auch ich hatte nicht das Verlangen, Kinder zu töten, aber auch ich bekam dazu die Befehle von oben. Es ist viel schwieriger, seinen eigenen Sohn zu töten, als ein fremdes Kind, das man nicht selbst gezeugt hat. Du siehst aber in ihm einen völlig normalen Menschen, und plötzlich weißt du, du musst ihn töten. Diese Impfung der Ukraine, die ich vorgenommen habe, war die Geburt eines neuen Lebens auf dieser Welt.«
Anatolij Onoprienko macht erneut eine Pause und wirkt nachdenklich. Er möchte etwas zu trinken. Doch die Beamten lehnen ab. So fährt er fort: »Im Jahre 1989 habe ich in der Ukraine ein Verbrechen begangen und bin dann 1990 nach Griechenland geflüchtet. Die griechischen Geheimdienste haben mich überall hin verfolgt, und man hat mich damals gefragt, was mit der Sowjetunion geschehen wird. Ich habe ihnen geantwortet, dass die Sowjetunion zerfallen wird und sich zehn Jahre später wieder vereinigt. Bis zum Jahre 2.000
wird es eine ›slavjanische Union‹ geben, bestehend aus Moskau und Weißrussland. Und die Ukraine wird alleine zurückbleiben. Völlig unbeholfen wird sie auf eine Katastrophe zusteuern.«
»Weil Sie Ihr Ziel nicht erreicht haben?«
»Ich möchte mich nicht als gut oder böse bezeichnen. Die Wahrheit ist, dass ich mein Ziel nicht erreicht habe. Denn zu meinen 52 Impfungen hätte ich eigentlich noch hunderte hinzufügen müssen. Das war meine Aufgabe, die ich leider nicht mehr erfüllen konnte. Wäre mir dies gelungen, dann hätte man das blutige Kreuz über diesem Land sehr viel besser erkennen können.«
»Die Menschen in diesem Land sind froh darüber, dass Sie nicht mehr weiter töten können, dass Sie hier bis zu Ihrem Lebensende einsitzen, ja vielleicht sogar die Todesstrafe an Ihnen vollzogen wird.«
»Diese einfältigen Tölpel. Dieses Bauerngesindel kann doch gar nicht begreifen, welchen Segen ich über dieses Land gebracht hätte. Jedes Land muss kurzweilig leiden, um zu neuen Taten fähig zu sein. Ich wiederhole mich. Meine Taten waren für die Ukraine eine Art Impfung. Die Geistlichen dieser Welt erklären, wir gehen in ein neues Leben. Die anderen nennen es das Goldene Jahrhundert. Die dritten sagen, was vor uns liegt, ist etwas Unbekanntes, und diese haben Recht. Sie haben sich das Recht genommen, alles auf dieser Erde zu verteilen. Aber diejenigen, die an Gott glauben, wissen, dass alles ihrem Gott gehört. Die Nationalisten denken alles gehört ihnen. Sie zimmern sich dadurch ihren eigenen Sarg.«
»Soll man glauben, Sie haben die Ukraine gerettet?«
»Nein, das habe ich nicht. Ich habe nur einen Teil meiner mir gestellten Aufgabe erfüllt. Es spielt keine
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